Dienstag, 20. Oktober 2020

Bald 60 - 26

Von 1992 bis 1999 hat es existiert. Das Lädchen in einer Kleinstadt nahe Hannover.

Wir haben es Scarabea genannt. Denn wir waren vor der Eröffnung in Ägypten und hatten noch die fliegenden Händler im Ohr, die uns Touristen im Fünfminutentakt die kleinen Glücksbringer anboten. Scarabäen, kleine Käfer vornehmlich aus türkisfarbenem Stein. Scarab-Scarab, Scarab-Scarab murmelten sie, kurz bevor sie einem ein solches Käferchen vor die Nase hielten.

 

Neben Geschenkartikeln aus aller Welt fand die geneigte Kundin, der geneigte Kunde dort Modeschmuck und später auch esoterische Artikel samt CDs und Büchern.

 

Es lief den ganzen Tag ruhige Meditationsmusik und die Kunden und Kundinnen konnten sich schon in der Tür entscheiden, ob sie den Geschäftsrundgang mit einem Kaffee oder einem Tee bestreiten wollten.

 

Manch einer und manch eine kam nur zum Entspannen, zum Quatschen oder um mich persönlich zu besichtigen und zu entscheiden, ob eine der von mir angebotenen Kurse im Bereich spirituelle Begleitung, Lebensberatung und einer Art Psychotherapie etwas für sie sein könnten.

 

Kurzum, die Stimmung im Laden war grundsätzlich ruhig, friedlich und gemütlich schön.

 

Selten gab es unangenehme Menschen im Laden.

Und doch erinnere ich ein paar Begebenheiten, die sich mir eingebrannt haben. Einige haben mit dem Verhältnis von Müttern zu ihren Kindern zu tun.

 

Die eindrücklichste Begegnung aus dieser Rubrik ist die folgende.

 

Ich stehe mit dem Staubtuch am Modeschmuck-Regal. Räume Fach für Fach leer. Wische und dekoriere langsam und bedächtig neu. Die Tür fliegt auf und ein etwa sechsjähriges Mädchen stürmt forsch in den Laden. Unmittelbar verfolgt durch seine fahrige Mutter.

 

Das Kind verschafft sich einen kurzen Überblick, greift nach grünen großen Ohrringen, hält sie, wie eine Große, kurz gegen das Licht, streckt sie der Mutter, die nur flüchtig hinsieht, entgegen und meldet: „die will ich.“

 

Die Mutter nickt kurz in Richtung des Regals und beginnt damit, sich einen Überblick zu verschaffen.

 

Ich befinde mich mittlerweile in einem anderen Teil des Ladens, denn Hilfe braucht sie nicht. Natürlich nicht.

Sehen und hören kann ich aber leider alles, was drüben geschieht.

 

Sie nimmt ein Paar Ohrringe nach dem anderen aus der Auslage, zeigt sie dem Mädchen, das mit der Zeit immer unwilliger wird, war es doch bereits fertig mit seiner Entscheidung.

Die Frau zieht es näher zu sich, erläutert die Vorzüge verschiedener Ohrgehänge und sagt immer wieder: „oder die!“

 

Keine Frage, keine Antwort, denke ich. Offensichtlich erwartet sie wohl doch Antworten, wird von Minute zu Minute genervter und scheut sogar nicht davor zurück, das Kind leicht an den Schultern zu packen und ein wenig zu rütteln.

Das jedoch bleibt stoisch stehen. Mag sein, es passiert nicht zum ersten Mal. Jedenfalls wirkt es, als sei ein Ende dieses Theaters nicht vorgesehen.

 

Und doch. Plötzlich und unvermittelt greift sich die Frau kleine lila Ohrgehänge, zitiert mich zur Kasse und beendet das Spiel in zickiger Manier.

„Bitte! Wenn du dich, wie immer, nicht entscheiden kannst, kaufe ich halt diese hier für mich“.

 

Noch heute denke ich manchmal an dieses Kind und solche mit ähnlichen Schicksalen.

 

Ich hoffe, dass sie mittlerweile in Umfeldern leben, in denen sie ihre Fähigkeit, zu wissen, was sie wollen und was zu ihnen passt, wieder befreit leben können.




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