Dienstag, 6. Oktober 2020

Bald 60 - 16

Ich bin Mitte 20 und es ist kurz vor dem Jahreswechsel. Winter. Die Sonne scheint wundervoll und mein wochenlanger Aufenthalt auf Gomera neigt sich dem Ende entgegen.


Am ersten Tag des neuen Jahres soll mich der Flieger von Teneriffa aus in die deutsche Heimat bringen. Ein neuer Job ruft. Der Vertrag ist unterschrieben und den sollte ich nicht aufs Spiel setzen, erkläre ich mir seit Tagen mantrenhaft, obwohl ich ihn natürlich am liebsten aufs Spiel setzen würde.

Im Valle Gran Rey schaue ich aufs Meer und genieße den vermeintlich vorletzten Tag auf der Insel, als ich neben mir ein Gespräch über den Bus- und Fährenverkehr an Feiertagen höre.
Ein bisschen erschrocken bin ich schon als ich erfahre, dass weder heute an Silvester noch morgen an Neujahr ein Bus zur Fähre am anderen Ende der Insel fahren wird und überhaupt die letzte Fähre des Jahres nach Teneriffa die Insel bereits in weniger als zwei Stunden verlassen würde

„Siehste“ sagt meine Eroberung – oder bin ich seine? – „siehste, dann musst du also bleiben.“ „Kann ich nicht“ spricht das Pflichtgefühl und „Ja! Klar! Ein Wink des Himmels“ hätte die Lebenslust hinterher geschoben, wenn ich ihr das Wort gegeben hätte.

Stattdessen veranstalte ich einen großen Telefonwirbel, der mich im Ergebnis zu einem einzigen Tipp führt. „Mag sein, dass du im kleinen Hafen des Tals einen Fischer findest, der dich mitnimmt.“

Eine eher unwahrscheinliche Möglichkeit, der ich mit meiner Begleitung aber mangels Alternativen nachgehe.
Der Hafen liegt vollkommen still in der ebenso ruhigen Mittagssonne und auf den ersten Blick schaukeln alle Boote und kleinen Schiffe menschenleer im Hafen vor sich hin.

Da verfrühtes Aufgeben aber nicht gilt, gehen wir, das Unwahrscheinliche noch nicht beerdigend, die gesamte Bootsreihe ab und entdecken tatsächlich geschäftige Männer auf einem eher unscheinbar wirkenden Kahn.

Natürlich ist kaum zu glauben, dass sie tatsächlich das Fischen mitten in der Silvesternacht und den Verkauf des Fangs am folgenden Morgen im Hafen von Teneriffa planen.

Und doch scheint das Leben meine planerischen Unachtsamkeiten ganz selbstverständlich ausgleichen zu wollen.
Die Fischer sagen sinngemäß „kein Problem. Seid um 21 Uhr hier. Platz ist in der kleinsten Hütte. Wir werden das Kind schon schaukeln.“

Es ist also Zeit genug, den Koffer zu packen, noch einmal ordentlich zu essen und allen Bekannten von dem geschehenen Wunder zu erzählen.
Sie beneiden uns in unterschiedlichen Nuancen um das vermutlich romantische Abenteuer, das uns nicht nur wie gewünscht auf die Insel mit dem Flughafen bringen wird, sondern in gleichem Maße die Silvesternacht zu etwas Unvergesslichem machen würde.
Wir alle malen uns in Unkenntnis, was Fischen auf einem kleinen Boot bedeutet, die bevorstehende Nacht in den tollsten Farben aus.

Und es ist wirklich wunderbar auf dieser Nussschale aufs Meer hinaus zu fahren. Über uns die Sterne, hinter und vor uns die Uferbeleuchtungen beider Inseln, milde Luft. Zunächst. Dann wird es kalt. Sehr kalt. Und das Schiffchen hält an. Und schaukelt. Vorwärts, rückwärts, seitwärts, uneinschätzbar.

Es dauert nicht lange und der Magen meldet, dass er möglicherweise zu gut gefüllt wurde. „Gib dich der Bewegung hin. Versuch nichts zu kontrollieren.“ Die Fischer ahnen, was passieren könnte.
Doch er hält. Zunächst. Erst als das erste Netz aufs Deck gezogen wird und unterschiedlich große, teilweise sehr große, Fische auf mich zu schlittern, knie ich im Gegenwind an der immer noch unkontrollierbar schaukelnden Reling und beginne mit dem erzwungenen Abschied von meinem Mageninhalt.

Romantisch? Das ich nicht lache. Und das tue ich auch wirklich nicht. Halbstündlich werden die Netze in meine Richtung entleert. Und im gleichen Rhythmus klammere ich mich an die Reling.

In dieser anscheinend nicht enden wollenden Nacht bemerke ich nur am Rande die Silvesterfeuerwerke auf beiden Inseln, lerne viel über die Überlebensfähigkeit von Fischen auch außerhalb des Wassers und bereue meine Planlosigkeit in Bezug auf Bus- und Fährenfahrpläne.

Als wir am frühen Morgen das Ufer Teneriffas erreichen, krabbele ich, mehr als dass ich gehe, an Land, bin heilfroh, dass die Strandliegen während der Nacht nicht weggeräumt wurden, richte mich erschöpft auf einer ein, verabschiede mich von meiner Eroberung, die ich hier zum letzten Mal sehen sollte und schlafe mit gestelltem Wecker in der aufgehenden Sonne meinem Abflug entgegen.

Am nächsten Tag entere ich den neuen Arbeitsplatz, frage mich am Mittag ob die Sonne niemals aufgeht und beuge mich, um eine fast romantische Erfahrung reicher, für eine Weile 9 to 5 dem Ernst des Lebens.



2 Kommentare:

  1. aua....lacht, liebe Brigitta ich glaube solche ERfahrungen macht man
    nur
    Mitte 20
    du schilderst sehr anschaulich deine planlose Rückreise, ich lächle ein wenig verständnisvoll darüber denn sowas hätte auch mir passieren können.
    Mit 20 - vielleicht auch noch ein paar Jahre drüber ist man doch noch ziemlich naiv und glaubt an " unmögliche Möglichkeiten" hat Hoffnungen,TRäume, so manch Spleen im Kopf und schebt die Unannehmlichekten des Lebens erst mal beiseite..
    ich denke, man ist unschuldiger, noch nicht vom Ernst des sLebens genügend belegt um vorsichtig und vorrausschauend zu sein.
    Aber das alles gehört ja auch ins erwachsen werden,.
    der eine ists früher
    ein anderer später oder
    wirds nie, bleibt halb FRau/halb Kind/lich naiv...
    hast du deine ERoberung von damals eigentlich je wiedergesehen?
    schöne Geschichte...!!!!!!!!!!!!!!!!
    herzlichst angel

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    1. *Lach, ja, das macht man mit Mitte 20 :-)))
      Heute würde ich die Pläne mehrfach studieren, um Missverständnisse und Verwechslungen auszuschließen.
      Die Eroberung von damals, hat noch einige Wochen auf der Insel verbracht und als er zurück war, habe ich ihn EIN! Mal besucht. Das wars. Urlaub ist Urlaub ... offensichtlich :-)))

      lieben Gruß!

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