Montag, 19. Oktober 2020

Bald 60 - 25

In der Chronik der Polizeigeschichte Nordrheinwestfalens der 1980er-Jahre gibt es für Januar 1983 folgenden kurzen Eintrag:

 

„Tödlicher Schusswaffeneinsatz. Im Rahmen eines Einsatzes zu einem Banküberfall in Köln wird der Täter von der Polizei erschossen. Bei einem Schusswechsel mit dem bewaffneten Mann erleidet ein Beamter zuvor einen Handdurchschuss“.

 

Zu dieser Zeit beendete ich meine Ausbildung bei der Stadtsparkasse Köln und um die geht es in der oben genannten Mitteilung.

 

Der Mann, der von „der Polizei“ erschossen wurde, war der Vater einer Mit-Auszubildenden. Ein Mann der gehobenen Mittelschicht. Bisher nicht auffällig. Eine bis dahin ganz normale Familie. Er hatte enorme Geldnöte, die er weder der Familie noch dem Umfeld gegenüber zugeben wollte.

Er war offensichtlich verzweifelt und der Überfall wohl eine Kurzschlusshandlung.

Unsere Ausbilder berichteten uns. Die Mitschülerin sahen wir nicht wieder.

 

Was für ein Grauen. Und wie unnötig.

 

Schon damals dachte ich: „bloß keinen Notfallknopf drücken“ und „bloß nicht provozieren, dass die Polizei die Zweigstelle stürmt“.

 

Ich stellte mir den Täter vor, der nichts, aber auch gar nichts, zu verlieren hatte, nachdem er bereits mit vorgehaltener Waffe in die Bank gegangen war.

Was wird er wohl verständlicherweise tun, wenn Polizei zur Tür hereinstürmt? Ist doch klar, dass er schießt, wenn er eine geladene Waffe dabeihat. Und dann schießt „die Polizei“ aus Notwehr zurück.

Außerdem ist das natürlich ein einzelner Mensch, ein einzelner Polizist, dem das zugemutet wird, der sich das zumutet. Auch wenn er in der Formulierung „die Polizei“ unerkannt bleibt.

 

So wird ja schnell aus einer Verzweiflungstat ein Krieg und im schlimmsten Fall ein Gemetzel. Schon damals habe ich vermutet, dass es wohl sein kann, dass der stürmend schießende Polizist auch die Person hinter dem Schalter treffen könnte. Ich stellte mir vor, dass das im ungünstigen Fall dann ich wäre.

 

Im Grunde war ich also gut vorbereitet als ich dann meinen ersten und einzigen Überfall selbst erlebte.

 

Ich hatte mir, obwohl die Dienstanweisung lautete, auf jeden Fall den Alarmknopf zu drücken, vorgenommen, genau das, aus den oben genannten Gründen, keinesfalls zu tun.

 

In der Geschäftsstelle saß ich hinter dem Schalter an einem Schreibtisch mit dem Blick zur Tür, zwei Kolleginnen vor mir, hinter mir zwei Kassen und seitlich etwas erhöht die Kundenberaterin, die den vollen Überblick über die Kassenhalle hatte.

 

Kurz vor Geschäftsschluss kam jemand mit Integralhelm auf dem Kopf durch die Tür.

Ich sah das, bereits mit Tagesabschlussarbeiten beschäftigt, aus dem Augenwinkel und sagte flapsig zur Kollegin, „ach, guck mal, ein Mann mit Helm“.

 

Noch bevor sie gucken konnte, zog er eine Waffe und richtete sie auf mich. Und schon war ich, so glaubte ich, mit voller Aufmerksamkeit beim Geschehen.

 

Er ging zur Kasse, bedrohte die dort Stehenden und den Kassierer mit der Waffe, erhielt das Geld und während ich noch dachte, hoffentlich drückt keiner den Knopf, war es schon passiert. Die Kundenberaterin mit dem Überblick und dem Wissen um ihre Pflicht hat diese erfüllt.

 

Aber zum Glück ging alles so schnell, dass der Räuber bereits über alle Berge oder zumindest durch die Tür war, als die Polizei eintraf.

 

Sie haben uns einzeln verhört. Eigentlich ganz leichte Fragen. Was hatte er an? Wie sah die Waffe aus? Was genau hat er gesagt?

Ich hätte nicht gedacht, dass es dermaßen schwer ist, so etwas im Schock zu beantworten.

Viel später, nach Sichtung der Kameraaufnahmen stellte sich heraus, dass meine Beschreibungen bis auf die Sache mit dem Helm, die ich noch mit klarem Kopf gesehen hatte, komplett falsch waren.

Ich hatte genau genommen keine Ahnung über äußere Details und den Kolleg:innen ging es kaum anders. Trotzdem wurden wir stundenlang verhört. Als ob das etwas nützte.

 

Passiert ist niemandem etwas. Gottseidank. Wir bekamen alle einen Tag Sonderurlaub. Wann durften wir selbst wählen, nur nicht an den Folgetagen, da mussten wir uns bereithalten. Wegen eventueller Fragen, hieß es.

 

Ich hatte noch Jahrelang ein mulmiges Gefühl, wenn ich Menschen mit Integralhelm irgendwo gehen sah.

 

Es gab Ungereimtheiten im Umfeld des Überfalls. Der Bargeldbetrag, der damals in Kassen liegen durfte war an einer der beiden Kassen weit überschritten.

Normalerweise hätte der Kassierer schon einige Zeit vorher eine große Summe in den Tresor im Keller bringen müssen. Hat er aber nicht gemacht und zufällig hat der Herr mit Waffe genau diese Kasse ausgesucht.

Ich weiß nicht, ob jemals wirklich geklärt wurde, ob es da einen Zusammenhang gab.

 

In den kurzen Meldungen in den regionalen Tageszeitungen war der erbeutete Betrag jedenfalls angeblich wesentlich geringer als er tatsächlich war.

Das macht man so, wurde mir erklärt, um mögliche Nachahmer nicht zu animieren.

 

Heute ist eine Lüge an dieser Stelle und aus diesem Grund nicht mehr nötig, da es, soweit ich weiß, kein Bargeld mehr im Kassenraum gibt und sich Überfälle der oben beschriebenen Art somit schon lange erübrigen. Gut so.




2 Kommentare:

  1. das war 1983?!!!
    heute würde dir jeder Kommisar empfehlen nichts zu tun was den Täter in irgendeiner Form reizen oder aggressiv machen könnte, keiner kennt das Nervenkostüm eines gewaltbereiten Menschen alles was vermutet werden würde, bleiben Vermutungen bis der gefaßte Täter "selbst spricht.
    Sich diese durch ein Geständnis bestätigt.
    Interessante Geschichte....
    lieben Gruß angelface

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