Montag, 5. Oktober 2020

Bald 60 -15

Heute früh erzählt mir Facebook, dass einer meiner dortigen Freunde heute Geburtstag hat. Ich erschrecke kurz. Denn ich weiß, dass er tot ist.

Oder richtiger gesagt, habe ich vor vielleicht 2 Jahren ein Posting eines gemeinsamen Facebookfreundes gesehen, in dem es hieß, dass er gestorben sei.
Im letzten Jahr haben ihm 11 Personen auf seinem Profil gratuliert und dieses Jahr sind es bis jetzt 3.

Es gibt einige dieser Profile auf Facebook oder anderen Socialmediakanälen, die seit Jahren nur noch mit den öffentlichen Geburtstagsgrüßen gefüllt werden, ohne dass das vermeintliche Geburtskind, der Adressat der guten Wünsche, jemals ein „gefällt mir“ oder irgendeinen Dank zurückgibt.

Ich habe einige solcher Leichen in meiner Freundesliste. Ihre Profile bestehen weiterhin. Bei manchen sind die Blogs und Webseiten noch online. Bei manchen schrieb einmal jemand, dass sie starben und die Info ist unter den Glückwünschen der darauffolgenden Jahre begraben und in vielen Fällen weiß man eigentlich nichts, außer, dass die Angesprochenen nicht antworten. Und das kann ja diverse Gründe haben.

Manch einer verschwindet einfach so aus meiner Freundesliste. Kann sein, dass ich es gleich bemerke, kann sein, dass es mir niemals auffällt. Je nach Kontakt, je nach Interesse. Der Grund des Verschwindens kann auch wieder vielfältig sein. Die Löschung des Profils durch einen noch lebenden Angehörigen wegen des Todes des Profilinhabers ist nur eine davon.

Als der mit mir gleichaltrige ehemalige Nachbarjunge im Alter von 56 Jahren starb, schrieb es seine Freundin ins Profil und ich erfuhr durch meine Eltern, dass ihre Nachbarn, die Eltern des Mannes um ihn trauern. Dieser Tod ist also ziemlich sicher.
Habe eben nachgesehen, Geburtstagsglückwünsche bekommt er weiterhin in horrender Anzahl. Jahr für Jahr.

Bei ihm vermute ich, dass ihm das weitere Bestehen seiner Profile und Seiten sehr gefallen würde.
Er war ein Künstler und Bewahrer aller noch so kleinen und unbedeutenden Dinge und Momente. Er hortete jede Menge Zeugs, aus dem man neues Bedeutungsvolles erschaffen konnte und er rechnete schon seit Jahren nachhaltig in Texten und Chroniken mit den Situationen und Menschen seines Lebens ab.

Seine Mutter erzählte, dass sie zu ihm fuhren, weil sie verabredet waren. Sie hatten gemeinsam ein Haus gekauft. Er hätte sie pflegen wollen im Alter. Er lag auf dem Bett, die Einkäufe noch in Tüten auf dem Boden in der Küche.

Als er einmal bei uns zu Besuch war, entdeckte er die ausgebaute Badewanne im Keller und sah direkt Verwendungsmöglichkeiten dafür. Abgeholt hat er sie nicht mehr. Obwohl sie ja noch dort steht, wo er sie entdeckte. Im Keller, an die Wand gelehnt. Vereinbarungsgemäß. Weiterhin.

In einem anderen Fall weiß ich nicht, ob der behauptete Tod tatsächlich einer war oder eher eine Flucht mitten im Leben. Mallorca. Ein Marktkollege. Freitags rief er winkend: ‚reden wir am Sonntag drüber‘.
Und als ich am Sonntag aufs Gelände fuhr, riefen es schon die Spatzen von den Dächern. Tot sei er. Plötzlich umgefallen. Die neue Freundin hatte schon einige telefonisch benachrichtigt, den Rest machte der Buschfunk.

Außer meiner Standnachbarin und mir war wohl keiner geschockt oder traurig. Er schuldete so gut wie jedem Ware oder Geld, man bezichtigte ihn gar einiger seltsamer Einbrüche und Diebstähle und so gut wie alle, mit denen ich darüber sprach, zweifelten, trotz der detaillierten Berichte der Freundin über die Ereignisse des Vortages an seinem Tod, sagten gar „Recht so“ oder verfluchten ihn nachträglich noch.

Mir schuldete er nichts, ich fand die Begegnungen mit ihm auf den Märkten ziemlich angenehm und ich denke jedes Mal an ihn, wenn ich gefriergetrocknetes Schnittlauch in Supermärkten sehe.
Ich würde es nicht benutzen, sollte es ihm aber immer aus Deutschland mitbringen, wenn ich flog, weil er es so gern mochte, aber auf der Insel damals nicht fand.

Oft sind es die kleinen Dinge, die bleiben.

Eigentlich egal, ob ich die Person real oder nur virtuell kannte, egal ob sie tot ist, das Profil löscht oder einfach nur aus meinem Leben verschwunden ist.

An eine meiner Freundinnen, die ich seit 50 Jahren kenne und mal mehr und mal weniger Kontakt mit ihr habe, denke ich jedes Mal, wenn ich das Waschbecken im Badezimmer putze.
Sie ist die geborene Hausfrau, erst unfreiwillig, dann gerne und vor allem perfekt.

Und schon früh hat sie mir mitgegeben, ‚wenn du mal eine Putzfrau suchst, lass sie Probearbeiten und kontrollier‘ dann die Unterseite des Badezimmerwaschbeckens. Hat sie die nicht ausgelassen, kannst du sie nehmen‘.

Mit ihr kann ich den Kontakt jeder Zeit haben, denke ich, während ich die Waschbeckenunterseite wienere.

Kann sein, dass das weiterhin stimmt.



1 Kommentar:

  1. das sind wieder so Gedanken bei denen ich merke, wie dir gehts mit in diesem Fall auch - öfters, dann vergeß ich es wieder uns suche nicht mehr..
    doch wie dem auch sei,
    von zeit zu Zeit - auch oft ohne direkten Anlass erinnert man sich an Menschen die man "früher kannte, nicht wusste was aus ihnen geworden ist und möchte wissen ob es sie noch gibt...
    vielleicht, um gemeinsame mehr oder weniger wichtig-unwichtige Gedanken auszutauschen?
    Man weiß es nicht,
    ich suchte mal im Netz einen meiner alten Chefs, frag mich nicht warum..
    eine frühere gute Bekannte, auch da weiß ich nicht mehr den Grund..
    ich habs aufgegeben und bedauert nie mehr etwas von beiden gehört zu haben..
    wahrscheinlich hatten sie mittlerweile andere Freunde oder Bekannte, andere Interessen, blickten nie zurück..
    eigentlch schade...
    anche Dingen kehre eben nie zurück...
    und manche Gedanken gerne,,,...
    jedenfalls ein interessantes Thema...
    und ich sehe selte dass dieser Gedanke bei anderen auftaucht..
    aber viellecht sprechen sie einfach nicht drüber
    man könnt ja befürchten dass sie leise depressiv sind, dabei hat das überhaupt nichts damit zu tun...
    schon komisch, gell..
    herzlichst angelface...mitten im Lesen deiner Gedichte..

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