Mittwoch, 14. Oktober 2020

Bald 60 - 22

„Nein danke, für mich gerne ein Wasser“ ist im Zusammenhang mit Einladungen zum Essen, zu Partys oder zu größeren Zusammenkünften anderer Art offensichtlich oft ein gar nicht so leicht zu akzeptierender und zu erfüllender Wunsch, wenn die Ablehnung einem dort üblicherweise getrunkenen alkoholischen Getränk gilt.


Wenn ich auf die nicht seltene Gegenfrage „auch kein Sektchen (Bierchen, Weinchen …) zum Start?“ konkretisiere, dass ich gar keinen Alkohol trinke, kann es gut passieren, dass mir offensichtlich angeheiterte Menschen, mit dem Glas in der einen Hand und der Flasche in der anderen, erklären, dass sie ja auch nur selten und dann nur wenig trinken.
Nicht selten schließen solch ausschweifende Monologe dann noch mit der Frage „oder vielleicht doch ein Likörchen?“.

In solchen Fällen bin ich für manch einen eine Herausforderung in Person und sie für mich natürlich auch.
Mir ist das nämlich egal, ob andere viel oder wenig trinken. Wenn sie in meiner Gegenwart viel trinken, gehe ich weg. Oder wenn es vorher schon zu erwarten ist, gehe ich meistens gar nicht erst hin. Punkt.

Bei mir zu Hause gibt es seit mehr als 30 Jahren keinen Alkohol. Auch nicht für Gäste. Nach ein paar Ausfällen, möchte ich auch nicht mehr, dass sich jemand etwas mitbringt.

Als ich den Gatten kennenlernte war ich schon ein paar Jahre nüchtern. Und er bemerkte nach wenigen Wochen in meiner Gegenwart, dass er schon lange nichts mehr getrunken hatte und beschloss, es nun auch einfach zu lassen. Dabei ist es dann geblieben. Zwei Menschen, die einfach ohne Alkohol leben.

In meinem Fall ist es so, dass ich in den Jahren, als ich noch glaubte, eine Erklärung zum „nein danke“ geben zu müssen, oft gesagt habe, “ich habe die Alkoholmenge, die für ein Leben vorgesehen ist, bereits intus“.

In meinem jungen Erwachsenenleben habe ich sehr viel getrunken und wenn ich einmal dran war, fand ich kein Ende. In Kneipen zu jobben hat das vielleicht nicht wirklich verstärkt, war aber auch nicht dazu angetan, zurückhaltend mit dem Alkoholkonsum zu sein.

Als ich in der Innenstadt lebte, hatten die umliegenden Kneipen alle kräftigen Cognac für mich vorrätig. Den trank ich in beträchtlichen Mengen abwechselnd mit Kölsch.

Freunde, die Urlaub in Spanien machten, brachten mir den Magno von Osborne mit und zur Sparkassenzeit bekamen meine Kassiererkollegen zu Weihnachten ganze „LKW-Ladungen Spirituosen“ geschenkt. Den Cognac gaben sie immer gleich an mich weiter. Den trank ich auch gerne mal alleine Zuhause. Nicht nur ein Gläschen. Nicht nur zum Spaß.

Da ich wusste, dass es mir irgendwie nicht wirklich gut ging, begann ich halbherzig irgendeine Gruppentherapie, die im Stadtmagazin beworben wurde.

Ich ging manchmal hin und manchmal nicht. Einmal sagte die Therapeutin „du kannst ruhig auch kommen, wenn du was getrunken hast“. Ich wusste nicht, wovon sie sprach. Wirklich nicht.

Irgendwann habe ich mir dann im Frauenbuchladen, sowas gab es damals ja in der Großstadt an fast jeder Ecke, wegen einer Frau, um die ich mich sorgte, Bücher über Frauenalkoholismus gekauft. Schon während des Lesens des ersten Buchs wurde mir klar, dass die über mich schreiben.

Meine Lage spitzte sich dann zu und gipfelte in einem grauenhaften Silvester irgendwann zweite Hälfte der 1980er Jahre, an dem ich unter anderem alleine mit einer Flasche Mumm extra dry am Rudolfplatz stand und schon ziemlich besoffen, den, sich zu Recht abwendenden, Umstehenden wortreich erklärte, dass das Leben scheiße ist und man in so einer Stadt verrecken kann und dass das ja keinen interessiert.

Danach habe ich einen Zug durch die Kneipen gemacht und mit verschiedenen anderen gescheiterten Existenzen getrunken. Irgendwann begegnete ich Freunden auf einer Party. Als ich sie grundlos und pöbelhaft beschimpfte, haben sie das, im Nachhinein betrachtet, einzig Richtige getan. Sie haben mich einfach stehengelassen.

Irgendwie habe ich in der Nacht ein Taxi ergattert, konnte offensichtlich erklären, wo ich wohne und irgendwie habe ich es in mein WGbett geschafft.

Am nächsten Morgen wusste ich: dass war‘s. So geht es nicht weiter, habe meine Alkoholvorräte genommen, in die WGküche gebracht und gesagt: „Trinkt ihr das, aber wenn es geht, ein paar Wochen lang nicht in der Küche“.

Von da an habe ich mich als Alkoholikerin betrachtet, habe nicht mehr in der Kneipe gearbeitet und meine viel trinkenden Freunde verloren, weil sie fanden, dass ich spinne.
Ich habe mich dann 2 Wochen lang im Zimmer aufgehalten und versucht durch Fernsehgucken herauszufinden, wie Menschen miteinander umgehen.
Ich wusste nichts mehr über den komplett nüchternen Umgang miteinander und auch nichts über den Wert der Klarheit in allen Lebenslagen. Darüber lernte ich wohl auch mit dem Fernsehinhalt nichts, war aber erst einmal schön abgeschirmt.

Meine Mitbewohner besorgten mir Wasser und Säfte in großen Mengen und nach einiger Zeit habe ich vorsichtig wieder Schritte in die Welt gemacht. Auch zu Einzeltherapiestunden.

Nach einem trockenen Jahr hatte ich einen Rückfall über ein paar Monate, der endete mit einem Riesenbesäufnis auf einem Therapiewochenende und die Therapeutin war fantastisch.
Sie hat stoisch so mit mir gearbeitet, dass klar war, sie wäre da, wenn ich leben wollte. Wenn aber nicht, wäre das auch ok.

Es war einer der größten Kämpfe, die ich im Leben bisher gekämpft und glücklicherweise gewonnen habe.

Etwa zwei Jahre lang habe ich noch geschwankt, wenn andere besoffen waren, aber auch das verlor sich.

Jeder lebt sein Leben wie er will. Ich meines seit mehr als 30 Jahren ohne Alkohol und als sei das für meine Umwelt als Herausforderung noch nicht genug, seit mehr als 20 Jahren auch ohne das Essen von Tieren.

Wenn sich dann in diesem Fall auf mein „nein danke, für mich nur das Brot“ oder „für mich nur das Gemüse“ oft die Frage „auch keinen Fisch?“ oder „gar kein Tier?“ anschließt, sag ich schon lange einfach nur „nö“ und hoffe, damit die Erklärungen, dass sie alle ja auch kaum Fleisch essen und überhaupt …, auf ein Minimum zu beschränken.

Für mich ist beides kein Problem mehr. Ich trinke einfach keinen Alkohol und esse keine Tiere. Und ich bin seit Jahrzehnten nie mehr in Versuchung gewesen, etwas davon zu tun.
Weil ich es für mein Leben nämlich so möchte. Fertig.



3 Kommentare:

  1. Wumm, das schlägt ein wie eine Bombe.
    Ich finde es grossartig wie du; bitte kein Alkohol" beschreibst!
    eigentlich sollte man sich nicht einen Schriftzug auf die Stirn schreiben müsssen, wenn man dem teufel Alkohol den Kampf angesagt hat und verzichtet, stellt aber immer wieder in Gesellschaft fest, dass einen Menschen " blöd anschaun oder versuchen zu überreden und zu drängeln", dass man doch ein Likörchen, oder sektchen, - nach dem Motto:eines ist keines und schadet doch nix" trinken könnte, das sind einfach unsensible unaufmerksame Egoisten ohne Rücksichtnahme.
    Welch eine Geschichte, selten habe ich über Frauenalkoholismus klarer ein Bekenntnis gelesen, ein outing erlebt als dieses und wünschte mir, dass öfters jemand dazu steht, denn das ist es, du stehst ganz klar dazu. Hut ab.
    Was man erntet ist oft ein kleines Stirnrunzeln
    ein ungläubiger Blick in dem steht: was du auch"?!
    selten ein anerkennendes Nicken und erfreutes Lächeln.
    In jungen Jahren macht man wie mit vielem anderen auch so seine eigenen ERfahrungen und können spter ein KLiedchen singen.
    Manchen gelingt es entgültig davon loszukommen, andere verfallen ihm wieder und scheitern.
    Das ist einfach so.
    die Versuchung ist verführerisch, die Gesllschaft auch.
    es gibt den Quartalsäufer, allein das Wort ist schon abstoßend für viele andre, trifft es aber..
    den nur mal so täglich ein Gläschen -Trinker...
    den, schon morgens Zitterer, und erst mit dem 1.Schluck ruhig werdenden...
    den, der nur ab und zu mal in die tägliche Angewohnstrinkerei rutscht was bei mir in den 30ßigern wohl auch der Fall war und bei vielen passiert.
    Wenn man gutan Alkohol drankommt, sagt man ja anfangs oft nicht nein, doch das nein wird im Laufe der Zeit immer schwerer und so lange man es gut verträgt, merkt man oft lange nicht wohin sich das entwickelt.
    die Gesllschaft in der man sich befindet prostet fröhlich und man prostet mit bis es zu spät ist.
    das sind tragische Entwicklungen die ich auch aus der Familie her kenne.
    Solange das Gegenüber nicht nach billgem Fusel stinkt macht man auch mit und die Augen davor zu.
    wie hoch ist die Dunkelziffer der anonymen Alkoholiker die so wenig Verständnis und Akzeptanz für ihre Krankheit finden?
    Die Politik hatte es schon immer in der Hand die Sucht Alkohol und Zigaretten beides tödliche feinde die man freiwillig wählt zu unterbinden wie die anderen Drogen an denen sie weniger verdient, aber da sie davon profitiert hält sie den Mund.
    Welch einen menschenbefremdliche Gemeinschaft.
    ich finde es großartige wie du deinen Bericht hier veröffentlicht hast und denke du wirst deine Leserschaft noch mehr für deine Offenheit an dich binden, das macht Mut immer.
    herzlichst ein Danke...
    ich bin gespannt auf die Reaktionen...
    angelface

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. uiuiui ... so ein langer Kommentar! Herzlichen Dank ...

      Naja. Das wird die Leserschaft erfreuen, ob der Ehrlichkeit und Offenheit, die vielleicht Mut macht, oder aber auch den ein oder anderen für immer und ewig vertreiben ...
      Die Fetzchen auch der eigenen Lebensgeschichte sind ja keine Heldengeschichten, sondern Aufgaben, die es zu bewältigen gab.
      Jeder hat da seine ganz speziellen, die er entweder bewältigt hat oder die noch offen sind ...

      liebste Grüße
      Brigtta

      Löschen
  2. lacht dich an, naja FEtzchen würde ich es nicht nennen, es sind /für mich /hochinteressante Geschichten, die ich bequem im Sessel zurückgelehnt lese und mich daran erfreue oder sogar mitleide als empathischer mensch mt viel zu viel eigenen Gefühlen, die ich im Zaum halten muss! Naja, manchmal...
    meine Kommentare kommen ungeplant aber gerne mitten aus dem Bauch heraus...
    wenn mich etwas beeindruckt und ich denke, eine gute Geschichte hat auch einen guten Kommentar verdient- zumal es echte Lebensgeschichten sind und keine ausgedachten Romane.
    auch Klärchen hat wie ich gerade unter einem deiner Gedichte sah, dich wahrscheinlich durch einen meiner >KOmmentare gefunden und liest am anderen Ende der Welt - egal wo - mit, das freut mich denn auch sie liebt besondere Gedichte gerne...
    so schließt sich mancher Kreis der Lesenden...
    herzlichst angel

    AntwortenLöschen