Donnerstag, 8. Oktober 2020

Bald 60 - 18

Ich hatte mir sehr gewünscht, zu studieren. In meiner Vorstellung war die Universität ein Ort, an dem sich Menschen trafen, die Themen miteinander von allen Seiten beleuchteten, die inmitten von Büchern hausten und dort alle Wörter so intensiv heraus lasen bis diese leer, die Köpfe voll und die Welt eine rundere wäre.


Als ich mich also nach Abitur, Lehre und ersten Berufsjahren zur Kündigung entschloss, zog ich aus der ersten kleinen Wohnung in einem Hochhaus, das auch von vielen Sozialhilfeempfängern bewohnt wurde und in dem man sich am Ende des Monats im Treppenhaus schon mal um die letzte Bierflasche prügelte,, in eine Wohngemeinschaft mitten in die Stadt, nicht weit weg vom Unigelände und vom prallen Leben.

Die Kosten für mein Zimmer und den Anteil Essens- und Hauskosten deckte das Kindergeld und die Steuerersparnis, die meine Eltern angeblich wegen meiner erneuten Ausbildung bekamen, bzw. sparten und dankenswerter Weise an mich weiterleiteten. Mag sein, dass sie auch ein bisschen aufgestockt haben.
300 DM waren es und die haben damals fürs Dach überm Kopf und Essen gereicht.

Ich war also frei, zu studieren. Juhu. Voller Vorfreude habe ich mir 3 Fächer ausgesucht, die mich interessierten. Eins davon war mit einem Numerus Klausus belegt.
Während der nun vergangenen „Wartezeit“ zwischen Abitur und Studienbeginn hatte ich den erreicht. Verrückte Regelung, das.

Germanistik, Anglistik und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft.
Ich war 25 und die meisten anderen Studierenden, die damals Studenten und später dann Studenten und Studentinnen hießen, kamen direkt von der Schule und hatten allerhöchstens dazwischen eine etwas längere Reise gemacht, wenn überhaupt.

Germanistik und Anglistik war von Anfang an gruselig. Schon in den allerersten Vorlesungen und Seminaren schnellten pseudointeressierte Finger in die Höhe, die wissen wollten, was genau denn in den Klausuren vom vorgestellten „Stoff“ gefragt werden würde.

Ich konnte und wollte erst nicht glauben, dass die Uni einfach nur eine Fortsetzung von Schule in ihrer furchtbarsten Form ist.
Vorne steht jemand, der einen in völlig uninspirierter und ebenso uninspirierender Art zu einer bevorstehenden Prüfung führt. Punkt.

Aber leider war es so.
Sich in Dinge selbst hineindenken, Diskurs mit offenem Ergebnis, Oberflächlichkeiten verlassen und wirklich interessiert lernend in die Tiefe gehen, waren auch hier nicht nur nicht gefragt, sondern sogar verpönt.

In Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft sah es ein bisschen anders aus. Unter anderem wurden in dieser Fachrichtung immer wieder Hospitationen in Fernsehproduktionen ausgelost. Bei mir wäre es die in diesem Jahr in Köln beginnende „Lindenstraße“ gewesen. Leider habe ich nicht gewonnen. Oder vielleicht doch? Nämlich durch den Nichtgewinn? Wer weiß.

Die Vorlesungen und Seminare dieses Fachs habe ich am längsten besucht, fand ich am interessantesten und an vielem dort hatte ich wirklich Freude.

Eingeschriebene Studentin war ich mehrere Jahre. Hingegangen bin ich nicht einmal ein Semester.

Stattdessen habe ich in vielen verschiedenen Jobs gearbeitet und so auf ganz andere Weise begonnen, das Leben zu studieren, beziehungsweise sehr praktisch einfach damit weitergemacht.

Die offene Gestalt Studium war damit geschlossen. Den Wunsch, offiziell eine Studierte zu werden, unter anderem, damit dieses Abitur nachträglich wenigstens einen kleinen Sinn machte, habe ich nachhaltig über Bord geworfen.

Fünf Jahre später bin ich dann durch Heirat Frau Professor geworden, aber das ist eine ganz andere Geschichte und hatte ja auch mit meiner eigenen Bildung nichts zu tun.

Meinen Hunger, zu lernen habe ich im Laufe meines Lebens auf andere Weisen immer wieder stillen können.

Ganz wunderbar für mich waren lange Zeit Bücher, Kurse, Fernsehdokumentationen und heutzutage dieses prallvolle Internet mit der Dokumentation von Vorträgen, kompletten Kongressen, online oder real, Darstellungen von Details aus verschiedenen Blickwinkeln auf Ereignisse der Gegenwart oder Vergangenheit, mit Informationen aus verschiedenen Quellen und Blickwinkeln, und so vielen anderen Möglichkeiten, meinen Geist zu füttern und zum Durchdenken anzuregen.

Wie gut, dass ich für all das heutzutage jede Menge Zeit habe und völlig frei darin bin, mir auszusuchen, womit ich mich jeweils beschäftigen möchte. Oft lasse ich mich „vom Zufall“ vom Hölzchen auf Stöckchen leiten, immer weiter, immer breiter, immer tiefer.
Ich bin darin exzessiv, solange bis ich, manchmal ganz plötzlich, mit einem Thema fertig bin. Dann begebe ich mich fast automatisch in Sherlock-Holmes-Manier auf die Spur des nächsten Themas oder eines sehr speziellen Aspekts des vorherigen.

Informationen und Wissen finde ich besonders interessant in Bezug auf das, was ich gebrauchen kann, um die Welt im allgemeinen und meine kleine Welt im Besonderen besser zu verstehen.

Und natürlich führt das letztlich zu wesentlich mehr Fragen als Antworten. Und vielleicht ist ja das das wirklich Lebendige.

Insgesamt lässt sich wohl sagen, dass weder Schulen noch Universitäten, in der Art wie sie waren und vielleicht auch noch sind, meine Art des Wissensdurstes stillen konnten.
DAS habe ich durch meine Selbstversuche eindeutig herausgefunden.



2 Kommentare:

  1. Lebenserfahrung ist mndestsns wenn nicht mehr Wissen über das Leben und WAS man alles in ihm braucht, darin stimme ich dir Hundert Pro zu, dennn meine ERfahrungen lehrten mich das gleiche.
    Dem der nicht offen und bereit dazu ist dazuzulernen und zwar auf irgendweine Weise jeden Tag / bis man die Augen schließt, dem ist weder durch die Schule noch die Schule des >Lebens etwas beizubringen.
    Ein gutes Stück lebendige Neugierde gehört dazu.
    es hört sich dein Werden und Sein sehr abwechlungsreich und neugierig, begierig auf das Leben an.
    Sind denn viele mitlesende in Facebook auf deiner seite dabei und bleiben es auch...?
    Deine Nichtbeteiligung an Beiträgen und Auszügen in der Lindenstraße fand ich ja höchst spannend, aber ich glaube ich hätte für mich auch abgelehnt in Person dort aufzutauchen, denn ich schreibe lieber geschichten als welche im Fernsehen zu "leben..".
    zwinkernde Grüße
    angel

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    1. Ja. Auf Facebook gibt es bereits echte "Fans" der täglichen Geschichten. Manche schreiben, sie hätten Suchtfaktor. Das unterstützt mich sehr, weiter zu schreiben. Es scheint einigen Freude zu machen.Und das macht mir wiederum Freude ...

      liebe Grüße
      Brigitta

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