Montag, 26. Oktober 2020

Bald 60 - 30

Heute kam mir auf einem Feldweg eine ältere Dame entgegen, die ich schon früher hörte als dass ich sie sah. „Ja, komm jetzt aber“, „Du kleiner Racker, willst du denn nicht hören?“, „Jetzt mach aber mal voran“, und „Du, du, du“.


Als wir einander näherkamen, sah ich, dass sie mit einem süßen kleinen Hund sprach, der, zwar ohne Leine, aber relativ nah und extrem brav bei ihr lief.

Als sich unsere Wege kreuzten sprang er kurz in meine Richtung und sie sagte wieder „du, du, du“ und fügte dann „ach, schämst du dich denn nicht?“ hinzu.

Ich vermute, sie erwartete keine Antwort. Weder von mir noch von ihrem Hund.
Von uns beiden hatte auch keiner etwas getan, für das er sich schämen müsste. Jedenfalls nicht in diesem Moment.

Wir hatten viele Jahre selbst 2 Hunde. Die große schwarze Dunja, mit der wir im Auto nach Mallorca ausgewandert sind und den kleinen wuscheligen Foxi, der uns dort im Wald zugelaufen ist und der später dann mit uns im Flugzeug nach Deutschland kommen sollte.

Die beiden haben einige Jahre miteinander und zusammen mit uns im mallorquinischen Wald gelebt.
Anfangs haben wir sie einfach laufen lassen, so wie sie wollten. Wie Katzen. In der Gewissheit, dass sie sich in der Freiheit wohl fühlen und immer wieder zurückkommen würden.
So war es auch. Sie bewegten sich frei und kamen, so sicher wie das Amen in der Kirche, regelmäßig nach ihren Touren zurück.

Bis zu dem Tag, als der Bauer vom Ende des Tals, in dem wir lebten, im strömenden Regen vor unserer Türe stand und sinngemäß sagte „ich weiß jetzt, wer meine Hühner jagt - und reißt. Beim nächsten Mal sind sie dran“.

Ein mallorquinischer Bauer, der selbst im Besitz von 3 Jagdhunden ist, regelmäßig zur Jagd geht, eine große Schafherde und viele andere Tiere besitzt und zu beschützen hat und bei dem das Schießen zum Alltag gehört, kommt und warnt uns naive ausländische ehemalige Städter tatsächlich, bevor er handelt. Ein Glück.

Wir haben es ihm gedankt, indem wir noch während des Regens begonnen haben, ein riesiges Areal für die Hunde zu umzäunen. Dort hatten sie tagsüber immer mal wieder Platz zu laufen, zu liegen, zu sein. Und von Stund an sind wir zusätzlich mehrmals am Tag mit ihnen an Leinen durch den Wald gestapft.

Ich glaube, die Hunde fühlten sich nicht weniger frei als vorher. Kann sein, dass die neue Regelung nur uns einiges an Freiheit genommen hat.

Wir hatten, wie gesagt, viel Glück. Denn eigentlich gab es bereits vorher schon eine Warnung.
In unserem ersten Jahr auf der Insel hatte unsere Dunja eine Mallorquinerin, die über unseren Weg lief erschreckt, indem sie auf sie zu lief und erst kurz vor ihr bremste.
Ich habe mich dafür entschuldigt, dass es passiert ist und doch bekamen wir kurz danach eine Vorladung vor Gericht. Die Dame hatte uns angezeigt. Wir waren angeklagt wegen Erschreckens.

Als es Monate später im Gericht in Palma die Anhörung gab, erschien auch die Anklägerin und zog dort im Beisein des Richters die Anklage mit der Begründung, sie wollte uns Ausländern lediglich eine Lektion erteilen, zurück.

Nach der zweiten Warnung des Schicksals durch den Bauern haben wir die Lektion dann gelernt. Das Leben ist geduldig. Gott sei Dank.

Die Dunja ist während unserer mallorquinischen Zeit sehr alt und dann auch krank geworden. Sie ist im Wald in der Umzäunung beerdigt.

Den kleinen wuseligen Wirbelwind haben wir dann Jahre später vor seiner Umsiedelung nach Deutschland für ein paar Wochen in einer Tierpension auf der Insel gelassen.

Wir waren gemütlich mit dem Auto durch Spanien und Frankreich in Richtung unserer neuen Heimat in Deutschland gereist, haben die Wohnung eingerichtet und sind dann für die letzten administrativen Erledigungen und einen kurzen Abschiedsaufenthalt in einem Hotel auf die Insel geflogen.

Den Foxi haben wir dann am Tag des Abflugs in der Pension abgeholt.
Dort habe ich mich unmöglich verhalten., weil ich mich nämlich sehr davor gefürchtet habe, „das arme Tier“ in seine Box einzusperren, und ihn im Bauch des Flugzeugs sich selbst zu überlassen.
Mein Verhalten war so verrückt, dass mich der Inhaber der Hundepension kurz vom Hund getrennt und zur Seite genommen hat, um mich eindringlich daran, zu erinnern, dass das Tier ein Tier ist und dass ich mich gefälligst dem Hund gegenüber ruhig verhalten soll.
Er versprach, dass, wenn ich meine Aufregung nicht aufs Tier übertragen würde und ihm kurz vor Abflug die Beruhigungstablette gäbe, der Flug für den Hund ein Klacks wäre.

Und der Mann hatte Recht. Bei der Ankunft hatten wir einen fröhlichen, neugierigen, wachen Hund, der uns schnüffelnd und schwanzwedelnd über den Parkplatz ins Auto und damit dann ins neue Zuhause folgte.

Wir hatten miteinander noch ein paar gute und schöne Jahre.
Er als Hund und ich als Mensch.
Ich bemühte mich um klare Anweisungen und er darum, sie so gut es ihm möglich war, zu befolgen.

Schämen mussten wir uns beide für nichts.



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