Mittwoch, 21. Oktober 2020

Bald 60 - 27

 Die Tage stieß ich in einer Facebookgruppe Krebsbetroffener und ihrer Angehörigen auf die Umfrage einer Psychologiestudentin für ihre Bachelorarbeit zum Thema „Kriegerische Sprache“.

Die Fragen, die sie stellt sind „Wird diese im Umgang mit onkologischen Erkrankungen verwendet?“ und „Wenn ja, was bewirkt sie?“

 

Selten bin ich begeistert von den neu eintreffenden Postings in dieser Gruppe. Sind es doch hauptsächlich Hilferufe in sehr schwierigen Lebensphasen.

 

Und häufig ist die Rede vom Kampf GEGEN den Krebs, um die Frage wie der Feind (Krebs) BESIEGT werden kann, um die Möglichkeiten der VERNICHTUNG, um die Mitteilung, dass jemand den Kampf GEGEN den Krebs verloren hat und Vergleichbares. Die Krebszellen werden als bösartig bezeichnet, Chemotherapie und Strahlen als WAFFEN gegen sie.

 

An der Umfrage habe ich mich gerne beteiligt, da mir persönlich diese Art der Sprache samt der Haltung, die sie ausdrückt, schon lange „gegen den Strich geht“.

 

Einen Tag später lese ich, dass der 80jährige Rainer Langhans mit der Berufsbezeichnung 68erIkone, unheilbar an Krebs erkrankt ist.

Er erzählte irgendeiner Zeitung (sinngemäß), dass er froh über die Diagnose samt Krankheit sei, sie als Geschenk sähe und sehen will, ob er es nicht schaffen kann, auch den Krebs zu lieben.

 

Er sagt, wieder sinngemäß, der Krebs böte Krieg an, er aber sei Pazifist und mache da nicht mit.

 

Ich selbst habe „meinen“ Krebs ja auch als eine Art Geschenk angenommen. Ich habe keine Sekunde gedacht, dass es eine Scheißkrankheit oder etwas ist, dass mir wirklich schaden will.

 

Dafür ist der Blick über den Körper hinaus, über die Materie hinaus natürlich hilfreich.

 

Mir geht es ähnlich wie Rainer Langhans, der offenbar alles, was in seinem Leben passiert als Herausforderung nimmt, daran zu wachsen und es sich zur Aufgabe macht, mit Liebe darauf zu reagieren.

 

Zugegeben, er ist ein extremer Typ. Ich hab‘ allerdings gerade das sehr gerne und wünsche ihm das allerbeste.

 

Heute bin ich froh, dass ich im Moment wieder einen krebsfreien Körper habe, gehe aber davon aus, dass die Krankheit zu der Zeit als ich sie hatte, das Gesündeste war, was mir passieren konnte. Wenn es gesünder möglich gewesen wäre, wäre mein Körper gesünder gewesen.

 

Er, der Krebs oder sie, die Krankheit, waren mir eine Hilfe innezuhalten, sie haben mir Erlebnisse geschenkt, die ich ohne sie niemals gehabt hätte, sie ermöglichen mir die interessante Erfahrung mit etwas weiterzuleben, das Behinderung genannt wird. Durch sie habe ich einen großen Schritt in Richtung „nimm das Leben an wie es ist“ getan und wer weiß, was noch, was ich jetzt noch gar nicht absehen kann.

 

Ich hatte das Glück, auf Ärzte zu treffen, die mich in aller Ruhe und mit hoher Präzision von dem Geschwür befreit haben, als ich es offenbar nicht mehr brauchte und mir so das irdische Weiterleben ermöglicht haben. Ein fantastisches Geschenk, wie es das Leben ja sowieso ist.

 

Ich persönlich finde es, wie gesagt, mittlerweile sehr klug, alles dafür zu tun, das Leben so anzunehmen, wie es ist und immer davon auszugehen, dass es das gerade wirklich Beste für mich ist, was passieren und sein kann.

 

Dazu gehört auch, dass ich nach Möglichkeit keine Kriegserklärung annehme. Das fällt mir nicht immer leicht. Manchmal kämpfe ich auch GEGEN das, was mich schockiert, was mir Angst auslöst oder was mir so gar nicht gefällt. Und doch fange ich mich mittlerweile relativ schnell und suche oft schon bald nach dem Verständnis für die Situation oder nach dem Ziel, FÜR das ich kämpfen möchte, wenn ich kämpfen möchte.

 

Bei einer Krebsdiagnose glauben wir oft, GEGEN den Tod kämpfen zu müssen. Doch ist der es, der sowieso sicher eintreffen wird, vielleicht nicht jetzt, vielleicht nicht unmittelbar durch diese Krankheit ausgelöst, aber er wird passieren.

Klüger ist es vielleicht, sich der Frage hinzugeben, was wirklich leben oder Leben wirklich bedeuten könnte.

 

Im Falle von Rainer Langhans und der Zeit, „aus der er kommt“ und in der er Berühmtheit erlangt hat, heißt das vielleicht unter anderem: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“.

Oder „Make love not war“ in der fortgeschrittenen formlosen Art.

 

Aber natürlich ist diese Art des Pazifismus nur eine Möglichkeit von vielen, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen.

 

Eine andere Variante ist es, kriegerisch gegen den vermeintlichen Aggressor vorzugehen. Auch das mag Vorteile bergen.

 

Ich bin gespannt, was die oben genannte Umfrage ergibt und wie das Fazit aussehen wird, das die Studentin aus ihrer Arbeit ziehen kann.




2 Kommentare:

  1. das ist einer der vernünftigsten und sinnvollsten Sätze die ich je gehört habe.Ihn bejaht wer versteht was es bedeutet nicht gegen etwas anzukämpfen sondern für etwas zu sein,und ja - auch zu kämpfen..
    Jede Krankheit gibt einem ja auch die Chance der Erkenntnis der eigenen Haltung dazu und ist diese positiv und nicht (nur)negativ besetzt lebet es sich auf jeden Fall damit leichter weil vieles bewusster geschieht was man mit und für sich tut.
    Wer einmal dem Schiffer von Bord gesprungen ist, weiß dass er keine Angst mehr davor hat unterzugehen...
    sehr denkwürdige Gedanken von dir...

    lieben Gruß angel

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    1. "Dem Schiffer von Bord gesprungen" ... so eine feine Formulierung ...
      Ja. Genau. Ich liebe diesen Satz ebenfalls ... auch wenn es nicht immer einfach ist, "nicht hinzugehen" ...

      Herzlichen Dank dir und lieben Gruß
      Brigitta

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