Sonntag, 11. Oktober 2020

Bald 60 - 19

 

Als die Germanwings Maschine abstürzte, beziehungsweise möglicherweise bewusst in den Berg gesteuert wurde, waren wir in Prag und sollten am darauffolgenden Tag nach Hause zurückfliegen. Wir waren auf genau diese Fluglinie gebucht.
Den ganzen Nachmittag und Abend des letzten Tages dort haben wir mit dem Refreshen der Nachrichten auf unseren Smartphones verbracht. So als würde uns das tatsächlich auch nach Stunden noch neue Informationen bringen.
Schnell war klar, dass es vermutlich keine Überlebenden geben würde, dass unter den Passagieren viele Deutsche waren, und unter diesen wiederum einige Schüler eines Schüleraustauschs aus Haltern am See.
Im Laufe des Tages gab es schon Bilder von der Absturzstelle und wir erfuhren enorm viele Vermutungen über die Ursachen dessen, was offensichtlich geschehen war.
Durch unseren bevorstehenden Flug und unser freiwilliges Eintauchen in die Katastrophenberichterstattung des Tages, betraf uns das, was so viele Kilometer weiter weg in den französischen Alpen geschehen war, irgendwie persönlich.
Wir wurden am folgenden Tag mit einer sehr schnittigen Lufthansamaschine nach Hause geflogen. Viele Germanwings - Mannschaften hatten den Dienst am Morgen unter dem Eindruck der Ereignisse nicht angetreten. Lufthansamannschaften übernahmen, so es ging, deren Strecken.
Wir wurden beim Einstieg wirklich aufmerksam und enorm freundlich begrüßt. Der Pilot kam vor Abflug in die Kabine, versicherte uns, dass er alles für einen guten ruhigen Flug tun werde, und sprach von seiner Familie, zu der er am Abend ebenfalls wohlbehalten zurückkommen wolle.
Es gab Getränke, Snacks und Lufthansa-Goodies für uns Passagiere, die wir womöglich unter dem Eindruck der Ereignisse des Vortags an die Möglichkeit eines Absturzes dachten, obwohl die Chance dazu ja wirklich sehr klein ist.
Fast alles im Leben ist gefährlicher als Fliegen und doch fühlt man sich gerade dort der Technik und einzelnen Personen gegenüber möglicherweise ausgelieferter als in anderen Situationen.
Nach der glücklichen Landung verfolgte ich auch in den folgenden Tagen die Suche nach den Ursachen und, wie es üblich ist, nach den oder dem Schuldigen.
Manch einen, den ich bereits aus der Berichterstattung zu kennen glaubte, sah ich auf ihrem Weg in den Kölner Dom wieder. Dort fand die offizielle Trauerfeier mit Bundeskanzlerin und vielen weiteren Offiziellen für die Opfer statt.
Ich war eine von Hunderten, die sich das Spektakel vor dem Dom angesehen haben.
Der Bereich um die Kirche war weiträumig abgesperrt. Es gab Presse aus aller Welt und große Videoleinwände, die die Trauerfeier nach draußen übertrugen.
Heute noch erinnere ich eindrücklich die viel zu dünne Kleidung der Chefs von Lufthansa und Germanwings, als sie den langen Weg über die Domplatte in eisigem Wind zurücklegten, das Ankommen der Politikerlimousinen, direkt vor dem Haupteingang, die Scharfschützen auf den Dächern der umliegenden Gebäude, manche anlassunangebrachten Gesprächsfetzen von wartenden Journalist:innen und Polizist:innen und viele weinenden Menschen vor dem Bahnhof mit Blick auf die Leinwände vor dem Dom.
Was ist es wohl, das uns ein Ereignis der Welt nahebringt? Was macht aus einer Meldung ein Erlebnis? Was lässt uns fühlen, was wir fühlen, angesichts dessen, das geschieht?
Vor vielen Jahrzehnten zum Beispiel hörte ich in den Nachrichten von einem Flugzeugabsturz irgendwo weit weg. Eine Nachricht von vielen, die mich nicht betraf und die mir, ehrlich gesagt, ziemlich egal war.
Als es hieß, dass auch Deutsche unter den Opfern waren, rückte mir das die Sache wohl ein bisschen, aber nicht sehr viel, näher.
Als Fotos vom Absturzort gezeigt wurden, fand ich schrecklich, was ich sah. Als Bewegtbilder schreiende Augenzeugen zeigten, erreichte mich der Schrecken kurz und doch vergaß ich auch ihn schnell wieder.
Am nächsten Tag auf dem Weg zur Arbeit las ich im Zeitungsaufsteller in der EXPRESS - Schlagzeile, dass auch Kölner unter den Toten des Absturzes waren und doch änderte auch das noch nicht nachhaltig etwas an der Geschäftigkeit, mit der die Welt und auch ich weiterliefen.
Erst als ich im Büro auf meine weinenden Kollegen traf, die berichteten, dass Herr xy aus Büro 123 in eben diesem Flugzeug gesessen hatte, begann ich langsam die Bedeutung an mich heran zu lassen.
In diesem Fall kam es dann sogar noch näher, denn im Nachgang erfuhr ich, dass er der Ehemann einer meiner ehemaligen Gruppenleiterinnen aus der katholischen Jugendarbeit war.
Ich, die ich selbst keine Berührungspunkte mehr mit ihr hatte, hörte, dass sie „ganz gut mit dem Verlust“ zurechtkäme.
Ob das stimmt oder nicht, kann ich nicht sagen. So nah, dass ich den Kontakt mit ihr wieder gesucht hätte, habe ich mich in das Ereignis dann doch nicht hineinziehen lassen.



2 Kommentare:

  1. liebe Britta dein Bericht hat mich sehr nachdenklich zurück gelassen, wie es oft ist, wenn man etwas liest und sich teilweise in seinem Verhalten und/oder Empfinden darin wiedererkennt oder zu erkennen glaubt.
    Je höher die Zahlen der Toten, je weiter weg es geschieht was geschieht desto weniger berührt es uns wie uns die Nachrichten im TV/Radio,Smartphone oder sonst wo her erreichen,
    hartgesottene sind sogar so unempfindlich dem Elend anderer gegenüber dass sie sich sogar witzige Bemerkungen nicht verkneifen, was ich besonders rüpelhaft finde.
    die Grausamkeit detailierte Bilder von Verkehrsunfällen, Flugzeugabstürzen, Bahnunglücken und ....Abertausende solcher Bilder zu zeigen haben viele Menschen dem Elend,dem Schmerz anderer gegenüber abstumpfen lassen und man wähnt sich weit weg, unberührt davon und geschützt im eigenen Leben.
    Gerade jetzt wieder in Pandemiezeiten zeigt es sich wieder und wieder nur zu deutlich das Abgehobenheit, Arroganz, Egoismus und Eigennutz, Agressionen und Wut bunte Blüten treiben.
    ich glaube, jeder reagiert anders und sehr individuell bei einem Unglück egal welcher Art es geschieht, - und muss dies auch vor sich selbst verantworten wie er es tut. Ob nun jemand Mitleid, Mitgefühl, Empathie Betroffenheit, ungläubiges Entsetzen näher an sich heran lässt oder unfähig ist etwas davon zu fühlen liegt wohl meist in den eigenen Erfahrungen die er mit seinem eigenen leben mit Unglück, Schmerz oder Todeserfahrungen mit Mensch,Freund und Tier macht.
    war sehr interessant zu lesen, wie jede deiner Geschichten von dir...
    liebe Grüße angelface

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    1. Herzlichen Dank für deine Gedanken zum Thema ...
      Ja, jeder reagiert in seiner Weise und genauso wie es ihm, seinem Leben und seiner Erfahrung entspricht ...
      Und natürlich ist uns im Normalfall "die Jacke näher als das HemD", will sagen, je näher uns die Katastrophe kommt, desto größer vermutlich die Betroffenheit ...

      lieben Gruß und Dank
      Brigitta

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