Sonntag, 4. Oktober 2020

Bald 60 - 14

Zu meiner Passfotogeschichte schickte mir eine Leserin alte Bilder von sich und schrieb unter anderem dazu: „eine schöne junge Frau – wenn ich das damals doch nur gewusst hätte“.


Ich hatte mittlerweile auch weitere alte Fotos von mir entdeckt, fand die Frau darauf immer noch ziemlich fremd, dachte aber auch, so übel war sie optisch eigentlich nicht.
Vielleicht wäre manches leichter gewesen, wenn ich nicht so häufig an mir rum gemäkelt hätte wie ich es all die Jahre innerlich immer wieder getan habe.

Wie schön wäre es, wenn ich stets wirklich genießen könnte, was ist, völlig ohne den Gedanken, dass dies und das doch anders sein sollte oder ich dies und das unbedingt noch lernen, tun oder verändern müsste.

So stand ich vor vielleicht fünf oder sechs Jahren mit Miguel in unserem ehemaligen Wald. Die Sonne schien leicht durch die Baumwipfel, es ging ein leichtes Lüftchen. Bis auf das Zwitschern der Vögel waren keine Geräusche zu hören, es roch wundervoll frisch und weit und breit war kein weiterer Mensch. Eine herrlich lebendige Ruhe.

Miguel war jahrelang quasi unser Nachbar gewesen. Er wohnte im gleichen Weg, zirka 400 Meter von unserem Häuschen entfernt.

Eines Tages war er mit seinem Hund bei uns vorbeigekommen, ich habe ihn winkend gegrüßt und er antwortete auf Deutsch. Es stellte sich schnell heraus, dass er Deutschmallorquiner war. Halb und halb, Mutter Deutsche, Vater Mallorquiner. Geboren ist er in Deutschland. Mit sieben Jahren kam er auf die Insel und ist dort bis heute geblieben.

Er war einer dieser Freunde, deren Anwesenheit, egal zu welchen Zeiten und in welcher Situation, immer angenehm war, die sich zur Not den Sitzplatz selbst frei räumten und die mitaßen, was es gerade gab. Eine herrliche Selbstverständlichkeit.

Er arbeitete damals am Flughafen, hatte relativ geregelte Arbeitszeiten, eine angenehme Arbeit, genügend Geld, das Haus, in dem er wohnte, gehörte bereits zu großen Teilen ihm und er konnte tun und lassen, was er wollte, was er wohl auch tat.
Oft hatte er deutsche Freunde zu Besuch, die ihren Urlaub bei ihm verbrachten und mit denen er, wie man heute sagen würde, den Tag chillte.

Eines Tages begann er besondere Blümchen zu pflanzen, das Haus zu streichen und erzählte von einem Abend mit Kolleg:innen aus seiner Firma. Eine Copilotin kam in den Berichten häufiger vor als die anderen.

3 Monate lang befand er sich im 7. Himmel und eigentlich begannen die gepflanzten Blümchen bereits zu verwelken bevor sie schwanger wurde, bei ihm einzog und damit endgültig dem Frieden des Waldes ein wenig seines Zaubers nahm.

Bald war ihr das Leben im Wald zu einfach. Und so kaufte er ein viel größeres Haus auf einem viel viel größeren Grundstück mit einer sehr großen Olivenplantage in einem Nachbarort. Für sie, das Kind und sich.

Als sie bald darauf zurück nach Deutschland ging, nahm sie das Kind mit und hinterließ einen Olivenbauern mit enorm viel Arbeit und Stress.

In unseren letzten Jahren auf der Insel haben wir uns nicht mehr oft getroffen. Die Vertrautheit blieb, doch hatten wir alle mittlerweile so viel zu tun, dass die Treffen, wenn sie stattfanden, wohl schön, aber nicht mehr gemütlich ausgiebig und eben selten, waren.

Als wir die Insel verließen, versprachen wir, uns bald zu melden und er versprach, dass er uns sicher in Deutschland besuchen käme.
So ging die Zeit, natürlich ohne weitere Kontakte oder Einlösungen der Versprechen, dahin.

Doch als ich vor etwa 5 oder 6 Jahren im Dezember nach Mallorca flog, habe ich mir extra seine Telefonnummer, die ich im neuen Handy gar nicht mehr gespeichert hatte, besorgt, weil ich ihn gerne wieder einmal treffen wollte.

Tagelang erschien mir vieles andere wichtiger und so verschob ich den Anruf immer wieder von heute auf morgen.

Einen Tag vor Beginn des Weihnachtsmarktes im Pueblo Espanol in Palma besuchte ich dort zwei Freundinnen und hielt sie quatschend ein bisschen vom weiteren Aufbau ihres Marktstandes ab, als ich hinter mir eine vertraute Stimme hörte, die unmissverständlich in meine Richtung sprach. Es war Miguel, der mich von hinten an der Stimme erkannt hatte, auf dem Markt jemandem sein feines Olivenöl auslieferte und mit dem ich dann natürlich hocherfreut Kaffee trinken gegangen bin.

Eigentlich hatte er geplant, zu einer ganz anderen Zeit auf den Weihnachtsmarkt zu kommen, doch es war ihm terminlich an diesem Tag manches durch einander gepurzelt, so dass er genau zu dem Zeitpunkt als ich am Stand der Freundinnen „Volksreden hielt“, dort vorbeikam und im Anschluss sogar noch so viel Zeit hatte, dass wir uns gegenseitig in der gewohnten Vertrautheit auf den neuesten Stand der Dinge bringen konnten.

Kann sein, dass im Leben passiert, was passieren muss, auch wenn wir es nicht planen, oder wir es völlig anderes planen oder auch gar nichts dafür tun.

Im Café haben wir uns dann verabredet, zwei Tage später gemeinsam in unseren Wald zu fahren. Und dort waren die Bedingungen dann so ideal wie eben schon beschrieben.

Wir beide sagten, als wir auf einem der Felsen auf unserem ehemaligen, nun halb eingezäunten, Grundstück saßen, von dem Frieden dort durchdrungen wurden und es selbstverständlich herrlich fanden: ach hätten wir es damals doch mehr genossen!

Was werde ich wohl in 10 Jahren über mein Leben heute sagen?



2 Kommentare:

  1. liebe Brigitta,,,,
    die letzte " Begegnung war vor 5 oder 6 Jahren schreibst du und...
    was wirst du im heute - es sind nicht 10 - nicht 8 - sondern nur 6 seitdem geworden - sagen - dazu sagen was damals gewesen ist, du dir vielleicht erhofftest?
    In dem einen Moment weiß man es ja oft nicht.
    Wenn man
    in die Zukunft sehen könnte, wäre manches leichter oder schwerer?
    Würde man etwas vermissen was hätte sein können..?
    Fragen werden, denke ich, -unser Leben wohl immer begleiten, beschäftigen und in Trapp halten, gäbe es sie nicht, gäbe es keine Neugier, keine Lust auf Neues oder anderes.
    es ist eine der Episoden die uns im Leben begegnen, die wir vielleicht ob der Möglichkeiten die darin schlummerten,/und nicht in Erfüllung gingen- bedauern oder uns wieder wünschen.
    ich weiß es in meinem Leben auch oft nicht aber denke, es ist auch gut so wenn wir nicht alles wissen was uns das Leben /noch/beschert...beschwert oder erleichtert...
    im Grunde ist es eine positive Lebensepisode und sollte wohl zu dieser zeit nicht sein...
    hab ich sehr gerne gelesen....
    überhaupt zu diesen Tagen eine Rückschau zu halten ist in meinen Augen eine Art von Überarbeitung ohne eine Veränderung herbeiführen...zu können.
    herzlichst angel

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    1. Das sind ja auch sehr interessante Gedanken zum Thema. Mir ging es hier speziell um eine Ermahnung an mich selbst, die ich damals sehr gespürt habe, dass es wichtig ist, alle Phasen wirklich zu genießen und auszukosten. Alles hat seine Zeit und jede ist auf ihre Art prima. Danke dir, liebe Angel Herzliche Grüße

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