Dienstag, 13. Oktober 2020

Bald 60 -21

Die Kartoffeln für die Reibekuchen hat die Oma geschält, aber reiben musste sie der Opa. Jedenfalls seit er in Rente war.


Sie waren schon im ausgebauten Dachgeschoß vom Reihenhäuschen eingerichtet, als wir zwei Tage später mit Sack und Pack ankamen.
Den Ausbau gab es eigentlich für den Übrigbleibenden von beiden. Aber sie wollten schon jetzt die Wohnung in der Stadt aufgeben.
Sie waren Anfang/Mitte 60 und wohnten jetzt in einem Zimmer mit Dachschräge, kleinem Badezimmer und winziger Küche.

Dem Opa fiel das schwer. Er war ein Draußenmensch.
Sehr lange hat er in den Grünanlagen der Stadt gearbeitet.

Wenn man mit ihm durch den Stadtwald ging, hat er gezeigt, welche Bäume er selbst gepflanzt hat. Vor vielen Jahren, ganz klein. Er war stolz auf die Bäume und ihr Wachstum und ich war stolz auf den Opa.

Noch heute denke ich manchmal. Erfunden hat die Stadtwälder Herr Adenauer und der Opa hat „das alles“ gepflanzt. Beides prima.

Er war kein Gärtner. Er war Arbeiter. Einer von vielen Geschwistern aus der Eifel. Keine Ausbildung. Der jüngere Bruder durfte studieren. Sollte Pfarrer werden. Wurde aber Oberamtmann.
Das war dann der mit dem Geld und den enorm vielen Käufen aus den Katalogen. Neckermann, Otto, Quelle.
Eindrücklich in Erinnerung ist mir eine sehr skurrile Sitzsauna. Eine Hülle mit Stuhl, aus der der Kopf herausragte. Ich könnte schwören, dass sie, wie so vieles andere in diesem Haushalt, niemals benutzt worden ist.
Wir sollten sie bewundern als wir zum Kaffee dort waren. Überhaupt sollte man dort immer alles bewundern.
Dem Opa war das egal, er stand am liebsten im Garten, rauchte Rothändle ohne Filter und schaute in die Weite.

Als meine Schwester und ich noch kleine Kinder waren, wohnten sie mitten in der Stadt, in der Nähe vom Rosengarten, da war er gerne.
Manchmal hat er uns abgeholt. Zu Fuß. Zum Schlittschuhlaufen und anderen „Draußensachen“. Dafür war er einige Zeit unterwegs. Ich glaube, das mochte er sehr.

Als wir dann miteinander im Haus wohnten hat er den Garten angelegt. Mit winzigen Pflänzchen. ‚Das wächst alles ins Geld‘, hieß es. Und so war es dann ja auch.

Ich sehe ihn noch wie heute auf der Terrasse stehen, rauchen und schauen. Oder aber glücklich von seinen Ausflügen mit der „Rentnerkarte“ aus dem Stadtwald zurückkommen. Aber solche Ausflüge hat die Oma nicht gemocht.

Sie wollte, dass er mit ihr zu Hause blieb. Im Dachgeschoß. Sie war eine Stubenhockerin, liebte das Lesen am Tag und das Fernsehen am Abend.
Sie waren, wie gesagt, noch nicht wirklich alt, als sie ihre Schlafsofas im Reihenhaus bezogen. Und für den Opa war das, glaube ich, viel zu eng.

Als er die Schmerzen in der Herzgegend bekam und das Ziehen im Arm, hat er sich mit der Oma aufs Sofa gesetzt und sich geweigert einen Arzt kommen zu lassen.
Meine Mutter hat den Arzt dann am Nachmittag gegen den Willen ihrer Schwiegereltern geholt.

Den relativ langen Weg nach vorne auf die Straße zum Krankenwagen ist er trotz Herzinfarkt aufrecht gegangen. Er wollte nicht auf der Trage transportiert werden.

Eine Woche war er im Krankenhaus. Nur mein Vater, sein Sohn, hat ihn dort besucht. Es hieß ja, er ist bald wieder zu Hause.

Als am Ende dieser Woche morgens früh der Anruf kam, dass mein Vater ins Krankenhaus kommen sollte, war er wohl schon nicht mehr am Leben.
Meine Großmutter hat das so sehr aufgeregt, dass sie Tabletten und für die Beerdigung ein Attest vom Arzt bekam.

Als er starb war ich 15 und traurig. Ich wusste sofort, dass er fehlen würde und so war es dann auch. Nicht nur beim Fußballgucken im Familienwohnzimmer.

Seinen Aschenbecher gibt es noch im elterlichen Haushalt und als ich noch rauchte, habe ich ihn bei Besuchen oft benutzt. Jetzt steht er nur noch rum.

In den Folgejahren hat seine Witwe täglich die Todesanzeigen in der Tageszeitung begutachtet und wenn sie jemanden fand, der ihr von den genannten Titeln her gut gefiel, sagte sie z.B. ‚siehste mal, der war Oberamtmann und der hätte länger gelebt als der Opa!‘.

Sie hat ihn circa 35 Jahre überlebt. Die meisten Jahre davon verbrachte sie im Dachgeschoß mit ihren Büchern, Zeitschriften und dem Fernseher.

Ob es in all den Jahren noch Reibekuchen gab, weiß ich leider nicht mehr.

Die von ihm gepflanzten Bäume im Garten jedenfalls mussten Jahre später alle gefällt werden. Sie wurden zu groß für diesen Garten.



4 Kommentare:

  1. deine "Rückschau" gefiel mir sehr!
    Ich sah buchstäblich deinen Opa im Garten sein Zigarettchen genießen und vielleicht darüber nachsinnen warum seine ehelich Angetraute so ene Stubenhockerin(hübsche Beschreibung) war, seine Leidenschaft und seine Bedürfnisse nicht erkannte oder so wichtig war, dass sie sie nicht mit ihm teilte.
    Lebensgeschichten finde ich so interessant weil sie so viele unterschiedliche Facetten von Menschn aufzeigen, vielleicht daher meine Vorliebe für Biographien anderer,in die ich mich stundenlang vertiefen könnte.
    Menschen die viel lesen werden vielleicht so zum Stubenhocker obwohl man natürlich auch im Freien wunderbar lesen kann.
    Viel vielleichts, man weiß es ja nicht sondern stellt nur Vermutungen an - warum-weshalb-wieso...
    dein Opa liebte die Freiheit und fühlte sich eventuell in so einem engen Zweisamsein ein wenig beengt, eingeschränkt und allein, damit wird man fast automatisch auch zum Eigenbrötler?
    ich kann mich gut in ihn einfühlen.
    Machst du dir denn heute als Erinnerungsessen auch machmal reibekuchen wenn du so zurückdenkst?
    Schöne, auch ein wenig traurige Geschichte...
    Leben eben...
    wer weiß schon wie das unsrige am Ende ausschaut für die Kinder oder Enkel
    lieben Gruß Angel

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    1. Ich weiß ja bevor ich anfange zu schreiben nie, worüber und was ich schreiben werde (deshalb auch sie Struktur, sonst würde ich nix schreiben :-))) ) Und als ich gestern darüüber nach dachte, demnächst mal wieder Reibekuchen zu machen, habe ich begonnen, darüber zu schreiben und heraus gekommen ist die vorliegende Geschichte. Sorum wars :-)))

      Ja. Lebensgeschichten sind super. Und verdichtet auf ein paar Seiten oft auch Mahnmale, finde ich.

      Herzlichen Dank für dein Interesse und die kommentierenden Gedanken!
      lieben Gruß
      Brigitta

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  2. Lebensgeschichten sind super und ich kann gar nicht verstehen wie ein anderer anders darüber denken kann, denn sie sind wie Lebensbeichten anderer kein Zufallsprodukt, kein ausgedachter Roman, kein Märchen kein Gedicht das man erfindet sondern interessante Lebensgeschichten und oftmals Anregung, ja auch eventuell Mahnmale, Hinweise und Tatsachenberichte wie Leben andersherum auch geht.
    Lebensfacettenbeschreibungen - ein Wort das ich eben beim schreiben erfunden habe.
    eine Spezialität von mir, die andere kompliziert und schwierig zu lesen finden.
    aber mir ist das wurscht.
    lacht angel

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    1. Das neue Wort gefällt mir :-))) ... und ich finde "das echte Leben" in den unterschiedlichen Beschreibungen am Leichtesten.
      Vor den Fantasien fremder Menschen habe ich "Angst" ... Fiktionen lese ich kaum ...

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