Mittwoch, 30. September 2020

Bald 60 - 12

Früher habe ich mich gefreut in ein anderes Land zu fahren und mir von dort etwas ganz Spezielles mit zu bringen, was es dort, wo ich lebte nicht gab.

Ich mochte, dass sich die Läden in europäischen Städten unterschieden. Mir gefiel, dass ich etwas hier bekam, was dort nicht bekannt war und umgekehrt.

Bis auf wenige Ausnahmen ist das heute längst vorbei. Die großen Ladenketten gibt es spätestens seit der Erfindung der Einkaufszentren in fast jeder Stadt mit mindestens einer Filiale.

In allen Filialen gibt es dasselbe. Oft auch noch gleich dekoriert. Die grünen Blusen z.B. hinten links. Mehrere in jeder Größe und das in jeder Zweigstelle.

Die produzierten Mengen von nur einem einzigen Produkt müssen ja riesig sein. Wie sieht das wohl in den fernöstlichen Fabriken aus? Produziert eine Fabrik wochenlang nur ein einziges Produkt? Die grünen Blusen müssen ja irgendwo herkommen, und der Stoff dafür und das Material für den Stoff.

Und das alles für z.B. grüne Blusen, die das zweite Waschen nicht überstehen und auch nicht überstehen müssen, weil sie eh vielleicht nicht getragen werden oder nicht lange getragen werden können, weil sie schon bald überholt sind oder vielleicht sowieso nicht verkauft werden.

Früher gab es meiner Erinnerung nach echten Schlussverkauf. Da verkauften Geschäfte, die Ware der auslaufenden Saison zu verbilligten Preisen, auch um Platz zu schaffen für neue Ware. Während eines solchen Schlussverkaufs wurden die Geschäfte von Tag zu Tag leerer. Bis sie dann mit der Ware der neuen Saison gefüllt wurden.

Heute kenne ich kaum noch Geschäfte mit Lücken. Alles ist immer voll. Ich komme in viele Städte und Städtchen und überall sind die Läden voll.

Ich frage mich, wer das alles kaufen soll oder wer das alles kauft. Oder wo das bleibt, wenn es denn gekauft wird. Wann wird das getragen? Von wem? Wohin verschwinden all die farbenfrohen Kleidungsstücke?

Eines Winters habe ich z.B. lange dick eingemummelt auf einer Hotelterrasse am Canale Grande gesessen und mir die vielen vorbeifahrenden vollgepfropften Vaporetti betrachtet. Unter hunderten von grauen, schwarzen und braunen Jacken und Mänteln gab es vielleicht 10 andersfarbige.

In den Geschäften hängen sie aber, die bunten Jacken und Mäntel. Vielleicht werden sie irgendwann vom Erdboden verschluckt oder fristen ein düsteres Dasein in Kleiderschränken, in die sie gehängt werden, um dort zu bleiben.

In den Läden jedenfalls werden sie durch neue ersetzt, denen wohl ähnliche Schicksale drohen. Nach Venedig schaffen es meiner Beobachtung nach die Wenigsten.

Die Vielfalt war es, die mir immer gefiel. Jetzt erscheint es mir, als gäbe es von allem zu viel. Und alles gleicht sich irgendwie. Ich kann keine großen Unterschiede erkennen. Obwohl mir vorgemacht wird, das Viele sei vielfältig.

Ich erinnere mich noch als vor zirka 20 Jahren der erste große Müller-Drogerie-Markt auf Mallorca in Llucmajor öffnete. Bewusst hatte ich vorher so lange Regale mit z.B. Shampoos noch nicht gesehen.
Angeblich sind das alles verschiedene Produkte, angeblich brauche ich in verschiedenen Altern, für verschiedene Anforderungen, für verschiedene Haarfarben und für was weiß ich noch immer wieder neue und verbesserte und wieder formelverbesserte Produkte.

Mich überfordert das. Ich werde verrückt vor solchen Regalen. Ich weiß bei Durchsicht nach dem fünften Produkt schon nicht mehr, was ich suche, suchen sollte oder gar kaufen wollte.

In Sachen Shampoo und ähnlicher Artikel benutze ich seit 20 Jahren einfach das Gleiche. Das erleichtert mein Leben. Ich gehe gezielt auf die bekannten Produkte los, ignoriere irgendwelche Formelverbesserungen und kaufe sie wenn sie im Sonderangebot sind, verbrauche sie nach und nach und habe ansonsten meine Ruhe.

Warum ich heute auf das Thema komme? Heute waren wir in Venlo. Eine kleine holländische Stadt direkt an der deutschen Grenze. Und dort gab es neben fast allen üblichen Ladenketten aus meiner Sicht überdurchschnittlich viele Geschäfte, die nicht zu solch großen oder gar keinen Ketten gehören.

Auch sie waren voll, auch bei ihnen habe ich mich gefragt, wer das alles kaufen soll, aber mir gefiel sehr, dass die angebotene Ware individueller wirkte.

Ich habe auch dort nichts dazu beigetragen, dass sie bestehen bleiben, aber das Betrachten der Schaufenster hat mir gefallen.

Ungefähr gleich gut wie das Ansehen der wunderschönen Blumenampeln, die die Straßen in großer Zahl verschönten.



Dienstag, 29. September 2020

Bald 60 - 11

 Natürlich hätten sie die Fotos gerne auf ihrer Website veröffentlicht.

Sie wurden bei einer öffentlichen Lesung aufgenommen. Ich durfte eine Kurzgeschichte zu einer Anthologie beitragen, wurde eingeladen, sie bei einer kleinen Veranstaltung selbst vorzulesen und dabei fotografiert.
Das macht den meisten Menschen ja nichts aus. Mir aber schon.

Als ich die Fotos im Netz sah, habe ich mich extrem eschrocken und den, den ich für den Verantwortlichen dafür hielt angeschrieben und um Löschung gebeten. Er schrieb sinngemäß irgendetwas von hübscher Frau, schön getroffen, aber wenn ich nicht will, dann veranlasst er die Löschung. Ich schrieb vermutlich etwas wie: bitte bitte löschen. Kurz darauf erreichte mich eine Mail, die an sich für die Person gedacht war, die die Website betreute. In ihr schilderte er meine Bitte und setzte hinzu, dass Verhandlungen über Änderungen in diesem Fall wohl sinnlos seien, er hielte mein Problem für ein grundsätzliches.

Wie Recht er hatte. Das habe ich ihm dann auch lachend geschrieben und es entspann sich noch ein längerer netter Maildialog. Die Fotos wurden, wie er ja schon vermutete, auf meinen weiterhin bestehenden Wunsch später wirklich gelöscht.

Ich finde es ganz schrecklich, fotografiert zu werden, weil ich optisch ein ganz anderes Bild von mir habe als ich dann „schwarz auf weiß“ sehe. Mir geht es nicht darum, dass es schöner oder glatter oder lustiger oder ernster sein soll. Ich finde einfach oft falsch, was ich da auf Fotos sehe.
Ist es doch anders als ich mich aus dem Spiegel kenne. Manche Gesichtsausdrücke mache ich vor dem Spiegel nicht und bin hochgradig erstaunt, wenn ich sie dann in Zusammenhang mit mir und meinem Gesicht sehe.

Am aller schlimmsten sind Passfotos. Wenn die gemacht werden müssen, bin ich schon im Vorfeld genervt und schlecht gelaunt.
So wie heute, weil der Personalausweis verlängert werden muss.

Anlässlich dieses Umstands habe ich mir alte Ausweisfotos angesehen, die im Abstand von jeweils zirka 10 Jahren gemacht wurden. Sie so vergleichen zu können, finde ich dann wieder ganz schön.
So als hätten die Fotos, wenn sie älter sind nichts mehr mit mir zu tun oder vielleicht habe ich auch einfach nur mein Spiegelbild aus diesen alten Zeiten erfolgreich vergessen, sodass ich sie nicht mehr falsch finden kann.

Vor zweieinhalb Jahren konnte ich nicht mehr natürlich und noch nicht mit Gerät sprechen, nur hauchend flüstern, brauchte aber Passfotos für meinen Schwerbehindertenausweis, der an sich für wenig nütze ist. Das Beste in Zusammenhang mit diesem Ausweis war, dass wir mit seiner Hilfe kostenlos bei Nieselregen an einer sehr langen Besucherschlange vorbei direkt in den Mailänder Dom hineingehen durften. Zackzack. Ohne Nass zu werden und ohne Warten.

Aber zurück zu dem Passfoto für diesen Ausweis. Ich schrieb damals auf eine Ritschratschtafel, die ich meinem Gegenüber vor die Nase hielt oder in eine App auf dem Smartphone, dass dann für mich sprach. Im Falle des Fotoladens hatte ich das, was ich wollte auf die Tafel geschrieben.
Im Laden wurde gerade eine Dame bedient und ich stellte mich schweigend daneben. Der Photograph bzw. Ladeninhaber deutete ebenfalls schweigend und fragend mit dem Kopf in meine Richtung. Normalerweise hätte ich also gesagt, dass ich Passfotos brauche. Da ich das aber ja nicht konnte, habe ich ihm freundlich lächelnd die bereits deutlich beschriftete Tafel hingehalten. Daraufhin seufzte er, griff unter die Theke, zauberte einen 5 Euroschein hervor und schob in mir herüber.

Ich brauchte etwas Zeit, um zu begreifen, was passiert war. Kam aber drauf. Er hatte nicht lesen können, was ich geschrieben hatte, hat angenommen, ich sei eine dieser Bettlerinnen und wollte sich ob der Kundin, die er gerade bediente, wohl großzügig zeigen.

Da ich die Bilder dringend brauchte, tippte ich also mein Begehr in die App, gab ihm die 5 Euro zurück und hielt ihm das Telefon sehr laut gestellt in Richtung Ohr.
Er erschrak kurz als er verstand, bat mich mit nach hinten zu kommen, machte wirklich gruselige Fotos von mir, berechnete den vollen Preis und entschuldigte sich mit keiner Silbe für sein Versehen.

Die Bilder habe ich in der Collage hier weggelassen, aber für den Schwerbehindertenausweis sind sie natürlich absolut adäquat geworden.

Heute waren wir in einem anderen Fotoladen. Inhaber ist eine ältere Dame mit ihrem Mann. Ganz süße Personen. Es gibt ja Menschen, die das Kunststück fertigbringen, zu erwirken, dass man sich auch nach einer kurzen Begegnung mit ihnen ein bisschen besser fühlt als vorher. Solche waren das heute. Sehr schön.

Und auch mit dem entstandenen Foto kann ich leben.




Montag, 28. September 2020

Bald 60 - 10

Es ist einer meiner ersten Tage als Auszubildende bei der Sparkasse, bei der mein Vater bereits seit Jahrzehnten arbeitet und seit vielen Jahren in unterschiedlichen Geschäftsstellen Leiter war und zu dem Zeitpunkt ist, an dem ich schockartig in eine seltsame Welt aufwachen sollte, die mir noch verrückter erscheint als die Schulwelt vorher.


Naiv wie ich war, fand ich diese Konstellation völlig unproblematisch, ja nicht einmal bedeutungsvoll. Ich hatte ja keinerlei Vorstellung von Firmen mit ca. 1000 Mitarbeitern verteilt auf eine einzige Stadt, die über Jahre beinahe alle Auszubildenden übernahm, die wollten und die vorher viele verschiedene Zweigstellen dieser Firma durchlaufen hatten.

Dass ich mir damals mit meinem Vater einen seltenen Nachnamen teilte und dieser „Verein“ einem Dorf glich, in dem „jeder jeden kannte“ und es die ein oder andere Animosität ob der Karrierestufen der Kollegen untereinander gab, war mir nicht klar.

Ich war 19, kam direkt von der Schule, hatte das Abitur in der Tasche und war nach einem, wie ich dachte, normalen Bewerbungsverfahren angenommen worden.

Als Schülerin hatte ich jahrelang Babygesittet, Nachhilfe gegeben, Pullover für Boutiquen gestrickt und in den letzten Ferien vor dem Abitur in einem Geschenkartikelladen gearbeitet. Kurz gesagt, ich hatte keine Ahnung vom Arbeiten, von firmeninternen Verflechtungen und Händen die Hände waschen oder Menschen, die eben genau das vermuten und verurteilen.

So nimmt mich also bereits die erste Geschäftsstellenleiterin quasi zur Begrüßung zur Seite und teilt mir ungefragt mit, dass ich natürlich keine Extrabehandlung zu erwarten hätte. Das wäre ihr nämlich wirklich zu blöd.
Ich versinke im Erdboden, verstehe nur Bahnhof, bin sowieso ob der neuen Atmosphäre eingeschüchtert und habe keine Ahnung, was sie von mir will.

Den Schock dieses ersten Tages schleppte ich durch die zweieinhalb Jahre der Lehre. Das und ähnliches, so offen oder versteckt, ein bisschen gnädig oder gänzlich ungnädig, habe ich während der Zeit noch häufig erlebt.

Ich bin durchgekommen. Ich habe den Kaufmannsgehilfenbrief erhalten und bin übernommen worden.

Eingesetzt wurde ich in einer Geschäftsstelle als Sparverkehrsachbearbeiterin. Als Witz nannte ich mich Spaßverkehrssachbearbeiterin. Das war aber ein mieser Scherz, denn mit Spaß hatte das nichts zu tun. Es sollte übel weitergehen und noch unangenehmer werden.

Es war eine kleine Geschäftsstelle, in der mein Vater Jahre vorher Leiter war. Fast alle Kunden kannten ihn noch. So gut wie alle Kunden hatten ihn in besonders guter Erinnerung. Und sie alle brauchten beim Blick auf mein Namensschild mit dem seltenen Nachnamen, das ich während der zwei Jahre dort tragen musste, während ich sie alle am Schalter bediente, keine hellsichtigen Fähigkeiten um zu mindestens an verwandtschaftliche Verbindungen zu denken.

Meine direkte Vorgesetzte, die einen Narren an einer meiner Kolleginnen gefressen hatte, und der sie den etwas besser dotierten Platz verschaffen wollte, den ich ohne eigenes Verschulden innehatte, hörte immer wieder die Lobeshymnen auf einen ihrer Vorgänger im Zusammenhang mit mir.

Eine vollkommen ungünstige Lage. Insgesamt ziemlich aussichtslos für mich, hatte ich doch immer noch keinen blassen Schimmer wie man sich in Situationen verhält, die heute Mobbing genannt würden.

Eines Tages bekamen wir einen neuen Geschäftsstellenleiter, der zuvor Ausbilder war, diesen ganzen Betrieb nicht von der Pieke auf durchlaufen hatte, sondern irgendwie von außen gekommen war.
Er wurde unser aller Chef, samt der Betriebsleiterin, die mit aller Gewalt versuchte mir das Leben schwer zu machen.

Schon nach ein paar Tagen fragte er mich, wie ich zurechtkäme und bot an, dass ich, falls ich Hilfe bräuchte, zu ihm kommen könne.
Er hatte die Situation, in der ich noch lange Zeit glaubte, mich mit Leistung behaupten zu müssen und zu können oder wenigstens irgendwie durchzukommen, in Windeseile durchschaut und war Manns genug, sich über die Beliebtheit eines seiner Vorgänger zu freuen und mich eines Tages wirklich aus der vermasselten Situation zu befreien.

Als es soweit war, dass ich wirklich nicht mehr konnte, hat er keine Sekunde gezögert und mir erst einmal durch die Versetzung in eine Stabsabteilung Luft verschafft.
Den Satz „hat sie es geschafft und sie klein gekriegt?“ habe ich mitgenommen und irgendwann später begriffen.

In der neuen Abteilung war mein Name wurscht und dort hatte ich Zeit und Muße genug, mir einzugestehen, dass dieser Beruf und dieses Umfeld dort wirklich nichts für mich ist. Und irgendwie habe ich dort den Mut gefunden, ohne zu wissen wie es weitergehen sollte, zu kündigen.

Über die Betriebsleiterin von damals hörte ich nach vielen Jahren, dass sie wegen Burnouts einige Aufenthalte in Psychiatrien hinter sich hatte und wegen ihrer vielen Jahre im Betrieb nun in einem Wiedereingliederungsprogramm aufgenommen worden war.



Sonntag, 27. September 2020

Bald 60 - 9

Die Schwester ist sich aus irgendeinem Grund sicher, dass ich zu blöd zum Stricken Lernen bin und versteigt sich zu der laut ausgesprochenen Prognose: „das Stricken lernst du nie“.


Sie ist eine von wenigen Nonnen des Ordens der „Lieben Frau“ im Ornat, die an dem Gymnasium in katholischer Trägerschaft lehren, welches ich besuche. Täglich besuche, auch samstags, weil aus mir was Besseres werden soll und weil die Schule einen guten Ruf hat.

Es ist eine Mädchenschule und die Nonnen werden durch weltliche Lehrer unterstützt. Ich gehöre zum ersten Jahrgang Schülerinnen, die Hosen tragen dürfen. Bis dahin waren Röcke Pflicht.

Die Entscheidung dazu traf die neue Rektorin, selbst Nonne. Und das sollte die erste große Entscheidung sein, die sie zu treffen hatte und Gottseidank getroffen hat. Es folgten weitere weitreichende, gipfelnd in der Öffnung der Schule für Jungens, die ich aber nicht mehr live erlebte.

War ich in die Grundschule noch gerne gegangen, so hat sich die Freude hier rasch verabschiedet. Ich hatte selten das Gefühl, etwas wirklich gut machen zu können oder irgendetwas Praktisches oder Sinnvolles zu lernen.

So wie das Stricken. Es gibt verschiedene Arten die Nadeln zu halten und dann zu bewegen. Gelehrt wurde eine bestimmte und das war die, die erlaubt war. Die konnte ich nicht. Meine Mutter strickte anders. Sie konnte das. Sogar Socken, sogar blind. Sie hatte es lernen müssen. Als aus Schlesien Vertriebene, damals 11 Jahre alt musste sie über den Schulbüchern, die schon Luxus waren, blind Socken stricken, die dann gegen Lebensmittel getauscht wurden.

Bei mir war das Stricken Lernen und überhaupt das gesamte gymnasiale Lernen Luxus, dessen Notwendigkeit ich nicht sehen konnte. Meine Mutter hätte viel darum gegeben, eine ordentliche Schulbildung bekommen zu haben. Mich hat da Vieles genervt.

Eines Tages sah ich im Schaufenster vom Wehmeyer im neuen Einkaufscenter um die Ecke eine lange Strickjacke mit herrlichen Farb-Streifen, die ich unbedingt haben wollte. Sie sollte 80 DM kosten und natürlich fand das die Mutter zu viel für eine einzige Strickjacke und sagte, die kannst du dir selbst stricken und ging mit mir Wolle kaufen.

Sie hat die Maschen angeschlagen, die erste Reihe gestrickt und mir dann in die Hand gedrückt. Mit der Prognose und der befohlenen Technik der christlichen Ordensfrau belastet, tat ich mich sehr schwer. Masche für Masche war eine ähnliche Qual wie damals das Bündchen am Häkelpullunder im Handarbeitsunterricht, den letztlich meine Mutter fertig stellte, weil ich es ja nicht konnte.

Diese Jacke aber wollte ich unbedingt haben. Also blieb mir nichts Anderes übrig als mich Reihe für Reihe vorwärts zu quälen. Als ich mir erlaubte, die Nadelhaltung und Strickart meiner Mutter durch Abgucken zu übernehmen, ging es schon leichter. Und leicht war es dann spätestens beim zweiten Ärmel. Weil ich da schon glauben konnte, dass es klappen wird und ich eine zumindest ähnliche Jacke zur ersehnten Wehmeyerware haben werde.

Wurde mir bei diesem ersten Teil noch das Maschenanschlagen, Abstricken, Zusammennähen und Umhäkeln abgenommen, hat es nicht mehr lange gedauert bis ich auch das selbständig konnte und machte.

Da mir in der Schule grundsätzlich langweilig war oder ich mich dauernd über irgendetwas aufgeregt habe, hat mich das Stricken im Unterricht, dass ich dann auch bald schon blind konnte oft beruhigt und mir über so manches Drama hinweg geholfen.

Zum Abitur haben wir strickenden Schülerinnen dann den Lehrern, die unsere klappernden Nadeln jahrelang ausgehalten hatten, zur Erinnerung Strickmännchen geschenkt. Es waren viele Lehrer. Es war ein ganzer Korb voll. Ob sie das nachträglich wohl über die erlittene Störung getröstet hat? Wer weiß.

Gefragt habe ich sie das genauso wenig wie ein paar Jahre später den Berufsschullehrer, der als einziger das Stricken im Unterricht erlaubte und zum Dank am letzten Berufsschultag einen irre langen Schal bekam, an dem wir alle ein Jahr lang immer wieder mit der jeweils aktuellen Wolle ein Stück gestrickt hatten.

Ich habe das Stricken gelernt. Gott sei Dank. Obwohl es wohl auch anders hätte kommen können, wie eine seiner Repräsentantinnen glaubte zu wissen.



Freitag, 25. September 2020

Wochenende ... am Montag geht es weiter

 𝙷𝚎𝚛𝚣𝚕𝚒𝚌𝚑𝚎𝚗 𝙳𝚊𝚗𝚔 𝚊𝚕𝚕𝚎𝚗 "𝟷 𝚋𝚒𝚜 𝟾-𝙻𝚎𝚜𝚎𝚛:𝚒𝚗𝚗𝚎𝚗"!

𝐀𝐦 𝐌𝐨𝐧𝐭𝐚𝐠 𝐠𝐞𝐡𝐭❜𝐬 𝐰𝐞𝐢𝐭𝐞𝐫

нⷩAͣВⷡᴛⷮ EͤIͥN S͛CͨнⷩOͦ̈NEͤS͛ WOͦCͨнⷩEͤNEͤNDͩEͤ!

Wer sich noch auf den neuesten Stand bringen will.
1 - 8 gibt es hier oder auf meinem Facebookprofil https://www.facebook.com/brigitta.wullenweber

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Donnerstag, 24. September 2020

Bald 60 - 8

 8


Ich werde wohl so 12 oder 13 gewesen sein als ich mir zu Weihnachten einen Kalender mit Fotos von Chris Roberts gewünscht habe. Ich kannte alle seiner Hits, war ich doch regelmäßige ZDF-Hitparade-Zuschauerin.
Manchmal habe ich überlegt, ob ich wohl an die während seines Auftritts eingeblendete Adresse wegen eines Autogramms schreiben sollte. Habe es aber nie gemacht, weil es mir komisch vorkam, dass viele Künstler die gleiche Adresse hatten.
Auf die naheliegende Erklärung kam ich erst viele Jahre später. So viele Plattenfirmen gab es ja damals auch nicht.

Neben einigen anderen Geschenken bekam ich den gewünschten Kalender und war selig. Das kleinste, aber wichtigste Geschenk. Er fand einen Ehrenplatz an der Wand meines Jugendzimmers und ich habe ihn das ganze Jahr über in Ehren gehalten.

Er war bei allem dabei. Auch wenn ich mit dem Mikrofon Schlager vom Radio auf den Kassettenrekorder aufnahm und sie dann später, ohne klaren Anfang und Ende mithilfe der TOP-Schlagertexthefte, die ich mir jeden Monat vom Taschengeld kaufte, mitsang.
Auch das natürlich wieder mit Mikrofon, allerdings ohne Koppelung an den Philips-tasten-apparat, dafür aber vor der spiegelnden Glasscheibe des Schranks in meinem Zimmer, der vormals ein 50erJahrewohnzimmerschrank war.

Ich mochte Schlager, trällerte auch auf dem Rad, durch die Wohnsiedlung fahrend, gerne mal welche vor mich hin. Sehr oft auch das Juliane Werding Lied „Am Tag als Conny Kramer starb“. Sang allerdings bis der Text im TOP-Heft erschien „Am Tag als Conny kam und starb und alle Glocken klangen …“.
Und selbst nachdem ich dann den Text wirklich kannte, begriff ich lange nicht, worum es im Lied ging.

Da war „Du kannst nicht immer 17 sein, Liebling das kannst du nicht“ schon leichter zu verstehen.
Zirka 40 Jahre nach dem Jahr mit dem Chris-Roberts-Kalender wollte ich nach einem kurzen Aufenthalt auf Mallorca von Palma zurück nach Köln fliegen. Wir lebten da bereits in Deutschland. War eingecheckt und hatte den ewig langen Weg zum Gate schon hinter mir, als klar wurde, die Maschine hat zwei bis drei Stunden Verspätung.

Ich hatte kein Buch dabei, mit meinem Telefon konnte ich nur telefonieren oder SMS schreiben und so war es klar, dass ich mir die Leute, die mit mir warteten mal genauer betrachtete und mit einigen ins Gespräch kam.

Es stellte sich heraus, dass mehr als die Hälfte der auf den gleichen Flieger Wartenden miteinander eine ganze Woche auf einem Schiff im Mittelmeer verbracht hatten, auf dem es den ganzen Tag Live-Schlagerpartys gab. Pauschalreise. Die Stars von damals waren mit an Bord und mir wurde in den höchsten Tönen geschildert, wie wunderbar die sind. So richtig zum Anfassen. Einfach Menschen wie du und ich.

Mir wurden einige Namen genannt, die ich bis heute wieder vergessen habe und eine der Damen, mit denen ich sprach, deutete mit dem Kopf immer wieder schräg hinter mich. Als ich fragend guckte, sagte sie „na und er!“. Was mir, auch als ich zum zweiten Mal in die angegebene Richtung guckte, keine Information bescherte. Ich sah einen Mann mit breitem Gesicht und auffälliger schwarzer Perücke und wusste nicht, wer das sein könnte.

Gottseidank gab es ja das Frauengrüppchen vom Schiff. „Na. Den müssten Sie aber erkennen“, sagt die ehemals mit dem Kopf Deutende und nun Schüttelnde, „Chris Roberts sieht doch aus wie immer“.

Ach du meine Güte, dachte ich, fragte aber, ob sie wüsste, warum er denn eine Perücke trägt. Wusste sie nicht. „Ist schon immer so“. Naja. Die Frau war offensichtlich wesentlich jünger als ich und alte Fotos von ihm kannte sie vielleicht gar nicht.

Da war er also, der Schwarm meiner frühestens Teenagerjahre, trug eine Perücke, sang auf Schiffen und wartete sich wie wir alle „die Beine in den Bauch“.

Irgendwann kam das Flugzeug und zweieinhalb Stunden später stand ich dann neben ihm am Gepäckband.
Hätte ich da schon gewusst, dass er die Textzeile „Einmal da wirst Du siebzig sein, dann bin ich noch bei Dir“ nicht einmal theoretisch würde einlösen können, hätte ich ihn vielleicht auf die Bedeutung von Versprechen angesprochen.

Denn diese Zeile hatte ich ja auf Anhieb verstanden. Und in meinen Jugendträumen selbstverständlich auf mich bezogen.
Aber das wusste ich ja Gottseidank nicht.



Mittwoch, 23. September 2020

Bald 60 - 7

„Trau‘ dich, trau‘ dir und mache diese Welt bunt“.

An diesen Auftrag wurde ich heute erinnert. Vor mehr als 30 Jahren, mitten in der Psychotherapeut:innenausbildung sollten wir herausfinden, was wohl unsere Seelenaufgabe ist.

Wir bekamen einige Anregungen, Vorschläge zur Vorgehensweise und jede Menge Zeit, um uns darum zu kümmern. Genaue Details weiß ich nicht mehr, aber das Ergebnis erinnere ich wie heute.

Ich hatte diesen Satz innerlich gehört und dann in sehr farbig auf Papier gebracht, so dass ich ihn der Ausbildungsgruppe zeigen konnte. Deren Reaktion erinnere ich auch nicht mehr, vermute aber, dass es die Wenigsten erstaunt hat.

Schon als Jugendliche in meiner Heimatstadt Köln bin ich stets in selbstgebastelter farbenfroher Kleidung durch die Gegend gelaufen. So dass ich manches Mal von der anderen Straßenseite die abfällig vorgetragene Frage hörte: „ja, hammer denn schon Karneval?“ und ich mich an Karnevalstagen, an denen ich zum Beispiel zur Arbeit unterwegs war, und keinesfalls kostümiert sein durfte, vorsichtshalber in komplett schwarz gekleidet habe, um jeder Verwechslung aus dem Weg zu gehen.

Mit etwas mehr als Mitte 20 habe ich mein Leben in Lila getaucht. Die unterschiedlichsten Töne, aber alles Lila. Irgendwann war meine gesamte Wohnung lila gestrichen, die Wände, die Möbel, die Türen, die Gardinen, die Kissen, der Teppichboden, Blumentöpfe und überhaupt alles. Und neben meinen Haaren wurde auch die Kleidung nach und nach komplett lila. Als ich dann zu irgendeinem Geburtstag, vermutlich dem 27. oder 28. nur lila Geschenke bekommen habe, war ich fertig mit der Farbe und habe mich wieder breiter orientiert und mich nach und nach wieder dem gesamten Farbspektrum zugewandt.

Als ich den Modeschmuck-/Geschenkartikelladen in Gehrden bei Hannover eröffnen wollte, habe ich meiner Art entsprechend große Mengen des damals modernen riesengroßen sehr farbenfrohen und auffälligen Holzschmucks eingekauft, den Laden bunt eingerichtet und seltsamerweise keinerlei Zweifel gehabt, dass das alles genau das Richtige auch für diese Kleinstadt ist, in die ich kürzlich erst gezogen war.

Ganz kurz vor der Eröffnung habe ich mir die Leute in der Fußgängerzone mal genauer betrachtet und festgestellt, dass der Schmuck den sie tragen nur mit der Lupe zu sehen ist. Kleine Ohrsteckerchen, filigrane Kettchen und so. An dem Tag bekam ich dann doch kurz  Bedenken, die aber am Eröffnungstag komplett zerstreut wurden. In der Zeit der Renovierung hatte ich all das bunte Zeugs schon in wechselnden Dekorationen im Schaufenster untergebracht und die Gehrdener wussten also, was sie im Laden erwartete und kamen zu Hauf zu Eröffnung und es dauerte nicht lange, bis sich der Schmuckstil vieler Ortsansässiger verändert hatte.

Mein Marktstand auf Mallorca einige Jahre später war auch schon weithin sichtbar. Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass auch der sehr üppig und farbenfroh aus der Menge herausstach.

Mittlerweile bin ich selbst nicht mehr ganz so bunt gekleidet, umgebe mich aber gerne mit vielen Farben.

Während ich schreibe denke ich, dass sich dieses „Bunt“ im entdeckten oder vermuteten Auftrag vielleicht ja nicht nur auf Farben bezieht.

Ich blühe auch auf, wenn viel Verschiedenes einfach nebeneinander oder irgendwie miteinander verwoben ist. Das können unterschiedliche Materialien, unterschiedliche Menschen, Nationalitäten, Standpunkte oder einfach Meinungen sein.

Ich liebe Vielfalt und wenn alles miteinander existiert und unverurteilt beieinander ist und sein darf.

Ich hab’s halt gerne vielfältig auch auf die Gefahr hin, dass es dann manch einem „mit mir zu bunt wird“.