Donnerstag, 26. November 2020

Bald 60 - 46 (Fortsetzung von Nr. 42 & 43 & 44 & 45)

In Puttaparthi angekommen und aus dem Bus gestiegen, erlebte ich die gleiche Wuselei wie bisher in Indien.


Jede Menge Menschen, bettelnde Kinder und Erwachsene, Menschen, die mir an der Kleidung zogen und irgendetwas zu verkaufen hatten und hier noch zusätzlich im ganzen Ort riesige Fotos von jemandem, der, in meinen damaligen Augen, wie Roberto Blanco mit langen krusseligen Haaren in einem orangenen Gewand aussah.

Ich fand es schrecklich. Wie kann man nur einen solchen Personenkult machen? Ich war genervt und völlig im Widerstand.
Weil ich aber schon mal da war, suchte ich mir ein Hotelzimmer, ließ meine Sachen dort und schaute mir diesen Ashram wenigstens mal an.

Man betrat ihn durch große Tore und kam so in ein riesiges Terrain, in dem lauter vergeistigte Menschen herumschlurften. Die Frauen in bunten Saris, auch die Nichtinderinnen.
Das fand ich damals am allerschrecklichsten. Wie kann man sich bloß so anbiedern? Und die Männer in weißen Hosen und weißen Hemden. Einheitlich. Fand ich auch furchtbar.

Irgendwann mitten in meinem verurteilenden Herumlaufen und Gucken habe ich durch systematische Befragungen herausgefunden, was da im Ashram täglich geboten wird und wie das funktioniert, dass ich mir das mal ansehen kann.

Passend zu meiner Stimmung wurde mir erst einmal gesagt, dass ich andere Kleidung bräuchte. Entweder einen Sari oder eine Tunika mit Hose oder mindestens einen großen Schal über die Schultern.
Könnte ich draußen vor den Toren des Ashrams im Ort kaufen.

Dann sollte ich zu einer bestimmten Uhrzeit zum Anleinen auf die Frauenseite kommen. Da waren tatsächlich die Frauen und die Männer getrennt. Die Männer in der riesigen Halle auf der linken und die Frauen auf der rechten Seite.

Bevor man eingelassen wurde, musste man lange in Reihen vor dem Eingang sitzen. Dann wurde ausgelost, in welcher Reihenfolge die Reihen in die Halle durften.
Später erfuhr ich, dass das bestimmte, ob man für drinnen dann eine Chance auf die erste, oder wenigstens vordere Reihen hat.
All das wusste ich natürlich damals nicht und die Bedeutung vorderer Reihen kannte ich auch nicht.

Nichtsdestotrotz habe ich mir eine einfache Tunkia mit Hose gekauft, ich dachte ja, ich brauche das nur einmal, weil ich mir, so völlig im Widerstand, nicht vorstellen konnte, diese seltsame Prozedur nach dem ersten neugierigen Erkunden, jemals wieder mit zu machen, und habe mich in die Wartenden vor dem Fraueneingang eingereiht.

Irgendwann wurden wir hineingelassen in eine pompöse riesengroße Halle, in die sehr viele tausend Menschen passten und tatsächlich auch dort waren. Alle ziemlich still auf dem Boden sitzend. Auf der Frauenseite ein Meer aus Farben. Wunderschön diese Vielfalt. Hauptsächlich saßen dort Inderinnen, aber auch schon damals eine Menge Westlerinnen. Größer, weißer und ein bisschen lauter und unruhiger als die Inderinnen.

Man hatte mir gesagt, dass Sathya Sai Baba, das war der Name des Typen auf den Fotos, die es in allen Größen dort überall gab und in dessen Ashram wir uns befanden, dort gleich einen Darshan geben würde. Was das bedeutet und wie das vonstattengehen würde, wusste ich nicht.

Das einzige, was ich mittlerweile herausgefunden hatte, war, dass man ihn dort als Avatar, als Inkarnation Gottes, verehrte. Hier in unserer Kultur würde man ihn vielleicht Heiligen nennen.

Ich saß also lange Zeit mit den vielen anderen Frauen auf dem Steinboden in der großen Halle, betrachtete mir die aufwändig verzierten Säulen und die vielen Dinge und Menschen, als ich plötzlich anfing, zu weinen. Einfach so. Ich weinte fast schluchzend. Hatte keine Ahnung, warum oder worum, bis ich in der Ferne eine kleine orangene Gestalt entdeckte, die langsam durch die Wege in der Halle ging.

Offenbar hatte ich angefangen zu weinen, als er die Halle betrat und es hielt an bis er nach etwa einer Stunde die Halle wieder verließ. Was er genau in der Zwischenzeit gemacht hat, hatte ich bei diesem ersten Mal gar nicht genau mitbekommen.

Dieses Erlebnis war so spektakulär für mich, dass ich natürlich blieb und diese Prozedur eine Woche lang morgens und nachmittags mitmachte. Jedes Mal, wenn er die Halle betrat weinte ich und wenn er wieder hinausging, stoppten die Tränen von selbst.
Nicht beeinflussbar von mir.

Drum herum fand ebenfalls zweimal am Tag wunderschönes Bhajan-Singen in der gleichen Halle statt. Dass viele tausend Menschen miteinander singen, war, auch wenn ich damals noch nicht mitsingen konnte, ein beeindruckendes Erlebnis.

Während dieser Woche habe ich zusätzlich begonnen, mich mit den Lehren von Sai Baba zu beschäftigen und finde sie auch heute noch, viele Jahre nach seinem physischen Tod und noch mehr Jahre nach meinem letzten Besuch in diesem Ashram, hilfreich.

Als ich meine Reise am Ende der Woche fortsetzte, war ich ein bisschen weicher und kaum noch im Widerstand, weder mit dem Ashram, diesem orangenen Typen mit dem Afrolook, noch mit Indien.

Ich hatte mich akklimatisiert und bestieg diesmal mit Büchern von und über Saibaba, meinen üblichen Bananen und der Flasche Wasser wieder einen Bus. Diesmal in Richtung Goa.

𝐹𝑜𝑟𝑡𝑠𝑒𝑡𝑧𝑢𝑛𝑔 𝑓𝑜𝑙𝑔𝑡 𝑎𝑚 𝑀𝑜𝑛𝑡𝑎𝑔



2 Kommentare:

  1. stimmungen und Schwingungen die man unversehens wahrnimmt bei solch einem beeindruckenden Besuch mit all seiner Vielfalt ist, denke ich für einen sensiblen Menschen fast zu erwarten und mich wundert es nicht, dass man trotz "gewisser Unkenntnis" empathisch darauf reagiert.
    Fremde Kulturen direkt vor Ort mitzuerleben, ja das hätte ich mir auch gewünscht mal zu sehen, schön, dass diese wunderbare Reise mit in deine Erinnerungen gehört.
    lieben Gruß angelface

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja. Das kann ich verstehen. Ich bin auch sehr froh, dass ich solche Reisen machen konnte und viel in dieser Beziehung bereits erlebt habe. Wer weiß, ob Reisen in Zukunft so leicht noch möglich sein werden.
      liebe Grrüße und mal wiederr herzlichen Dank für dein Interesse

      Löschen