Dienstag, 24. November 2020

Bald 60 - 44 (Fortsetzung von Nr. 42 & 43)

Die Fahrt von Madras nach Bangalore im Nachtbus war zugig und lang. Die Frage, ob ich den klimatisierten oder den normalen Bus nehmen wollte, hatte ich mit „normal“ beantwortet und erfuhr während der Fahrt, dass das bedeutet, dass während der heißen Nacht alle verfügbaren Fenster geöffnet sind und es enorm zieht.


Jede Ritze im Bus war mit Menschen und Taschen gefüllt, während das große Gepäck hoch aufgetürmt auf dem Dach mitfuhr.
Alleine das Schauspiel des Gepäckstapelns und Festschnallens war ein spannender Krimi. Daran waren viele, viele Männer beteiligt, so wie überall immer viele Männer an allem beteiligt sind. Manche kletterten geschickt wie Äffchen auf dem Bus herum, andere schleppten die Taschen und Koffer heran und offensichtlich gab es auch noch einige, die den Überblick bewahrten. Jedenfalls wurde das Gepäck und Zeugs wohl jeweils dem richtigen Bus zuteilt. Beeindruckend.

Der Bus suchte sich in der Stadt dann seinen Weg durch andere Busse, Autos, Rikschas, Fahrräder und Rinder. Alle hupten laut und irgendwie ging das gut. Als die Huperei gegen Abend auf der Landstraße weniger wurde, es in der beginnenden Dunkelheit auch nicht mehr so viel zu gucken gab, konnte ich tatsächlich auch ein wenig schlafen.

In den frühen Morgenstunden wurde es dann wieder spannend. Es war immer noch dunkel, aber im Bus stieg die Aufregung, denn der Busfahrer bemühte sich durch zielgerichtete Raserei über die schlechten Straßen tatsächlich vor 6 Uhr morgens in Bangalore einzutreffen. Und was soll ich sagen? Er schaffte es.

Um viertel vor sechs brachte er den Bus mit quietschenden Reifen zum Stehen und es wimmelte überall noch von Taxen und Rikschas auf der Suche nach den letzten Fahrgästen für den Tag.
Ich hielt dann mehreren Rikscha-fahrern die aus dem Buch heraus gerissene Adresse unter die Nase. Einer nickte und deutete auf den Innenraum seines Gefährts. Ich stieg ein und nahm an, dass er die Adresse kannte. So war es wohl nicht, denn er hielt alle paar Minuten irgendwo an und zeigte meinen Zettel vor.

Einem weiteren Wunder nicht unähnlich, lud er mich dann an einem Haus ab, dass mit einem Baustellenbretterzaun umzäunt war, mit der Versicherung, dass das die Adresse sei, zu der ich wollte.

Da war ich nun. Morgens um halb sieben mit meinen zwei Täschchen am anderen Ende der Welt vor einem Bretterzaun.
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo ich war, und zum Klopfen war es wirklich zu früh, setzte ich mich auf die Stufen vor dem etwas vor der Stadt gelegenen Haus und guckte mir das Treiben im noch Dunklen auf der Straße an.

In langen Reihen gingen die Bauern gemächlich mit ihren Warenkarren hintereinander in Richtung Innenstadt, oder Markt oder was weiß ich. Jedenfalls hatte ich viel zu gucken. Obst, Gemüse, Blumen und auch Gebrauchsartikel.

Als die Sonne langsam aufging und es dort, wo ich saß ein wenig dämmerte, sah ich auch Menschen aus den Nachbarhäusern herauskommen und hineingehen. Gegen 8 Uhr habe ich mir dann endlich ein Herz gefasst und geklopft.

Und nach einiger Zeit öffnete sich die Tür einen Spalt und heraus lugte der Mann, dessen Foto ich bereits aus dem Buch kannte, das mich dorthin gelockt hatte.

Freundlich fragte er, was ich wollte und ob ich einen Termin hätte.
Darauf, dass ich einen Termin brauchen würde, war ich nicht gekommen. Naiver als ich damals konnte man wohl nicht sein. Aber er blieb freundlich, ging zurück ins Haus und kam mit seinem Kalender wieder.

Er wollte mir wohl gerne einen Termin geben. Vier Wochen später wäre der erste mögliche freie gewesen.
Zack. Normalerweise hätte ich mich also dankend verabschieden müssen und den Plan, eine Palmblattlesung zu bekommen, aufgeben sollen. Aber ich verhielt mich völlig anders.

Ich blieb automatisch wie angewurzelt stehen. Dankte ihm wohl, sagte, dass ich nur 3 Wochen in Indien sein würde und blieb, wie gesagt, einfach stehen. Ich habe nicht gejammert, nicht gebettelt. Im Gegenteil, ich habe ihm mein Verständnis ausgedrückt, gesagt, dass ich das schade finde, dass es nicht klappt und bin einfach nicht gegangen.

Daraufhin hat er mich rein gebeten, mir und sich einen Kaffee gekocht, ging sich umziehen und als er wiederkam, war ihm eingefallen, dass ja heute manch einer wegen des Streiks seinen Termin nicht wahrnehmen können wird, weil er den Weg vielleicht nicht oder nicht rechtzeitig schaffen wird.

Also führte er mich in eine Art Wartezimmer, deutete auf einen Stuhl und ging.
Nach ein paar Minuten kam er wieder, fragte nach meinem Geburtsdatum, dem Geburtsort und der –zeit und verschwand erneut.

Eine viertel Stunde später kam er mit einem Palmblatt in der Hand wieder und bat mich in seinen Arbeitsraum.

Er hatte sich meiner ruhigen Penetranz oder was auch immer gebeugt und begann an diesem Tag vor dem ersten Termin zu arbeiten.

𝐹𝑜𝑟𝑡𝑠𝑒𝑡𝑧𝑢𝑛𝑔 𝑓𝑜𝑙𝑔𝑡 𝑚𝑜𝑟𝑔𝑒𝑛




2 Kommentare:

  1. interessant was man doch in Fremdländern erlebt und deine damalige Naivität aber bestimmt auch Freundlichkeit hat ihn dann doch bewegt dich "auch ohne termin" wahrzunehmen,,,,
    was auf dem Palmblatt dann letztendlich stand und was du erfahren hast darauf bin ich gespannt...
    mutig fand ich auch deine Fahrt mit einem Fahrer der nicht wusste wohin er sollte,....
    so alleine als Frau so eine Fahrt, wäre das auch heute noh möglich weil es dort nicht viel Kriminalität gibt?
    liebe Grüße...
    angel

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wäre wahrscheinlich heute nicht mehr möglich, würde ich wohl heute auch gar nicht mehr machen ... und vielleicht hatte ich auch damals sehr viel Glück ... wer weiß ...

      viele Grüße

      Löschen