Donnerstag, 19. November 2020

Bald 60 - 41

Sie kam von der Realschule in unsere Oberstufe auf dem Gymnasium und wurde für viele Jahre meine beste Freundin.


In der Oberstufe galt 75% Anwesenheitspflicht. Für uns bedeutete das, dass wir genaue Strichlisten führten. 3 x da, 1 x frei. Wenn wir die Freistunde hinter die drei Anwesenheitsstunden legten konnte nichts schiefgehen. Meistens waren wir so diszipliniert.
Einmal hatten wir wohl Gründe, die freie Stunde vorab zu nehmen. Im Vertrauen darauf, dass die weiteren Stunden schon stattfinden würden.
Taten sie aber nicht und das hätte uns eine Ehrenrunde in der 12. Klasse bescheren können, weil wir natürlich auch nur genauso viele Kurse hatten, wie gerade mal vorgeschrieben.
Wir waren darauf angewiesen, dass uns der Kurs angerechnet wurde und hatten wie so oft ein Riesenglück.
Der Lehrer sah natürlich, was uns passiert war: 3 x da, 1 x nicht, 3 x da, 1 x nicht usw. und plötzlich 1 x da, 1 x nicht und weitere Stunden waren überraschend ausgefallen.

Statt uns den Kurs zurecht nicht anzurechnen, guckte er vom Kursbuch hoch, schüttelte den Kopf und sagte „da habe ich euch doch glatt aus Versehen einmal als nicht anwesend eingetragen“ und änderte das. Ein großes Glück.

Von Stund‘ an waren wir vorsichtiger und hielten uns an die richtige Reihenfolge.

Während der Freistunden gingen wir Kaffee trinken im nahen Café oder fuhren gemeinsam mit der Vespa, die meiner Schwester und mir gehörte, in eine Schülerkneipe in einem anderen Viertel.
Dort gab es neben allen möglichen Getränken und Snacks auch Brötchen mit Milkaschokolade. Eine halbe Tafel pro Brötchen. Eine Wucht.

Ihre Eltern hatten zu der Zeit als wir Schülerinnen waren einen Kaffeeladen. Einen echten Kaffeeladen. Schon damals Retro. Noch mit großen liegenden Glasschüben mit jeder Menge unterschiedlicher Kaffeesorten, die dann, in kleinen Gefäßen oder Tüten abgefüllt, verkauft wurden und vielen Stammgästen, die sich an Stehtischen mit nem Tässchen Kaffee und nem Schwätzchen die Zeit vertrieben.

Nicht nur der Laden war ungewöhnlich und ein Original, auch die Besitzer, die Eltern meiner Freundin.
Gastfreundlich, unkompliziert und echt kölsch.

An Geburtstagen bauten sie im Wohnzimmer eine Theke aus Kisten, Alufolie und einem Brett. Es gab eine riesige Schüssel Bowle und noch vor Mitternacht tanzte die Mutter auf dem Couchtisch.

Die war es auch, die spontan entschied mit nach Hannover zu meiner Hochzeitsfeier zu kommen, als sie davon hörte, dass ich „unter die Haube kam“.

Wenn wir zum Mittagessen auftauchten wurde für mich ein Stuhl dazu gestellt, die Suppe verlängert oder alle gaben mir zum Beispiel eine Kartoffel ab.
Zu Freunden sagten sie, wenn ich da war. „Das ist so ne Art dritter Tochter, die isst und schläft gerne hier“, Und so fühlte ich mich manchmal auch.

Wenn wir am Abend ausgingen steckte uns der Vater schon mal 5 Mark zu, mit den Worten „macht euch nen schönen Abend und bringt mir ne Flasche Schnaps mit“, während ihre Mutter eher sagte „nehmt euch vor den Haschbrüdern in Acht und bringt der Schwester ne Mann mit“.

Es ging um die Schwester meiner Freundin, die niemals ausging, was ihre Mutter nicht verstehen konnte.
Die Sache mit dem Mann hat sie später allerdings völlig ohne unsere Hilfe hingekriegt und ist viel früher als wir beständig in der einmal entschiedenen Beziehung geblieben.

Auch nach der Schulzeit haben wir noch viel miteinander unternommen, Kneipentouren und Reisen.

Als ich ein Auto hatte sind wir damit auf einen Campingplatz in Südfrankreich gefahren. Aus Sparsamkeitsgründen maximal 100 Stundenkilometer. Wir hatten gehört, dass das am wenigsten Sprit verbraucht.

Die zweite Flugreise meines Lebens habe ich auch mit ihr gemeinsam unternommen. Ende der 70er Jahre oder Anfang der 80er eine sehr billige Pauschalreise mit Spantax im Winter nach Mallorca. Spantax hatte als Fluggesellschaft keinen guten Ruf. Mindestens eine ihrer Maschinen hatte sich schon verflogen und musste sehr ungewöhnlich landen.
Das galt nicht als Gütezeichen. Aber das war uns damals natürlich völlig egal. Im Hotel gab es jede Menge Kakerlaken und das Buffet fanden wir auch beanstandenswert, aber ebenfalls egal.

Wir waren echte Touri-tussen und einfach beste Freundinnen in all unseren Unternehmungen.

Wirklich aus den Augen verloren haben wir uns nie, aber mit der Zeit haben wir natürlich unterschiedliche Entwicklungen genommen.

Manchmal sehen wir uns und dann teilen wir die Erinnerungen, auch an ihre fantastischen Eltern, die leider beide bereits verstorben sind.
Aber wirklich Gemeinsames, das ins hier und heute gehört, haben wir nicht.

Sie wird im nächsten Jahr 60. So wie ich. Vorstellen können wir uns das beide nicht.

Sie will das in Griechenland auf einer Insel feiern, so wie damals, aber bequemer, nicht mit Schlafen am Strand und so, sondern im Hotel.



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