Sonntag, 1. November 2020

Bald 60 - 34

 

Neulich habe ich eine Dokumentation über schwule alte Männer gesehen, die teilweise unter Tränen von den Verfolgungen, Verhaftungen und Verhören sprachen, denen sie lange Jahre ihres Lebens ausgesetzt waren.
Sie erzählten von der Tatsache, dass sie keine Adressbücher führten, damit die nicht in die Hände der Polizei gerieten und von der immer existierenden Angst, entdeckt zu werden.

Dass sexuelle Handlungen unter Männern noch sehr lange unter Strafe standen und der Paragraph 175 Strafgesetzbuch, in seiner dann etwas abgeschwächten Form, wirklich endgültig erst 1994 abgeschafft wurde, war mir nicht klar.

Ich lebte als Kind und Jugendliche ja in Köln und hatte bereits früh mit homosexuellen Männern und Frauen zu tun.

Ich erinnere mich nicht daran, dass mir das jemals merkwürdig vorgekommen wäre.

Im Gegenteil. Als von Praunheim 1991 Hape Kerkeling und Alfred Biolek beim heißen Stuhl geoutet hat, habe ich die ganze Aufregung, die sich darum rankte, nicht verstanden.

Einige meiner besten Freunde waren schwul und ich konnte in ihren Beziehungen nichts Ungewöhnliches entdecken.
Sie lebten zusammen oder auch nicht, sie stritten oder auch nicht, sie kamen zusammen oder trennten sich. Ganz so wie ich es von heterosexuellen Paaren kannte.
Frauen waren mit Frauen zusammen, Männer mit Männern und es gab auch Frauen, die mit Männern zusammen waren und umgekehrt.

Ich mochte es, in Begleitung schwuler Männer in deren Kneipen zu gehen und hatte meinen Spaß daran, zu beobachten wie meine jeweilige Begleitung angeflirtet wurde.

Als Aids in unser aller Leben kam, traf es wohl zunächst die homosexuellen Männer, aber natürlich hat das die Krankheit auslösende Virus letztlich vor keinem Geschlecht und keiner sexuellen Ausrichtung Halt gemacht.

Warum auch? Mensch ist Mensch. So dachte ich, glaube ich, schon immer.

Umso erstaunter war ich, als ich dann später in Hannover die Reaktion einiger meiner Kursteilnehmer auf einen homosexuellen, HIV-positiven Teilnehmer aus Köln sah.

Da gab es tatsächlich Menschen, die Mitte der 1990er Jahre noch niemals Kontakt zu einem Schwulen hatten und die Angst, dass sich das Virus über einen Handschlag oder ein verwechseltes Wasserglas verbreiten könnte, war dort noch weitverbreitet, obwohl es schon lange Kampagnen zur Aufklärung gab.

Ich habe es oft in meinem Leben erlebt, dass bei mir Menschen zusammenkamen, die „normalerweise“ niemals miteinander zu tun gehabt hätten.
Und so war ich auch dort in Hannover froh, dass der junge Mann bei seiner Abreise zurück in die Heimat, Freundesadressen mit im Gepäck hatte.

Immer wieder habe ich festgestellt, dass Vorurteile gegenüber Menschen und Menschengruppen sich Gottseidank einfach in Luft auflösen, wenn es zu persönlichen Begegnungen kommt.

Während ich darüber schreibe erinnere ich wieder deutlicher den Beginn der HIV-Pandemie. Vielleicht, die erste weltweite Epidemie, die ich bewusst erlebt habe.

Anfang der 1980er Jahre, als Bekannte erkrankten und ich auch von Todesfällen hörte, bin ich auch ziemlich vorsichtig geworden. Damals waren es eher die jüngeren Menschen, die gefährdet waren.
Und lange hielt sich der Glaube, dass „die Schwulen“ Schuld an der Verbreitung des Virus seien. Obwohl das natürlich Quatsch war.

Als im Kölner Osho-Zentrum ein Aidstest als Eintritt auch nur für die Teilnahme an Meditationen vorgeschrieben war, bin ich nicht mehr hingegangen.

Eben habe ich nachgesehen:
Weltweit sind in den letzten 40 Jahren zirka 40 Millionen Menschen (an oder mit) Aids gestorben.
Und Ende 2014 lebten geschätzt circa 37 Millionen Menschen weltweit mit dem HI-Virus. Zurzeit sind es alleine in Deutschland um die 80.000 damit Infizierte.




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