Montag, 2. November 2020

Bald 60 - 35

Es ist 4 Uhr 12 als ich nach dem Smartphone angele, das, über seine üblichen Funktionen hinaus, auch meine Uhr und mein Notizbuch ist.


Die Idee zu dem Thema, über das ich heute schreiben sollte, könnte oder wollen würde, hat mich aufgeweckt und war klar und deutlich. Ich erinnere noch, dass ich dachte, dass so das Schreiben heute ganz leicht wird.

Obwohl ich ja, ob der Klarheit, keinerlei Notizen zur Erinnerung brauchen würde, notiere ich rasch ein paar Worte und döse nochmal ein bisschen ein.

Am frühen Morgen wache ich auf und erwarte nun, einfach entlang der Notizen, aufschreiben zu können, was mir in der Nacht eingefallen ist.

Diesen Plan musste ich allerdings verwerfen, als ich sah, was ich mir notiert hatte:
„verwandtschaft, bahnhof, wenn ich um virt aufwache, szammbaum …“.

Nun gut, dass mit der Uhrzeit habe ich ja jetzt schon mal untergebracht.
Aber was es mit den anderen Begriffen auf sich hat, ist mir jetzt, wenige Stündchen später völlig rätselhaft.

Vor dieser eigenen Erfahrung habe ich mich immer über Schreiberlinge amüsiert, die in Interviews darüber berichteten, ein Notizbuch neben dem Bett liegen zu haben, in das sie nachts kurze Notizen machten, wenn sie eine Idee aus dem Schlaf riss, die so dermaßen brillant war, dass sie sie keinesfalls dem Vergessen gönnen wollten und morgens dann statt eines exzellenten Plots für mindestens einen Roman den Satz finden: „Frau liebt Mann“.

Bis ich es nun selbst erlebte, hielt ich es für eine, im wahrsten Sinne des Wortes, fantastische Geschichte, die aber natürlich ausgemachter Quatsch war.
Solch einen Erzähler bezichtigte ich innerlich, ein Scharlatan zu sein, der die Beschäftigung mit seiner Arbeit wichtiger und tagumspannender darstellen wollte als sie tatsächlich ist und überhaupt sein kann.

Aber so ist das mit Dingen, die andere erleben und berichten. Bevor wir Ähnliches nicht selbst erlebt haben, können wir nicht wissen, ob es möglich ist oder nicht.

In eine ähnliche Richtung könnte die folgende, vermutlich allseits bekannte, Indianerweisheit deuten: „Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin.“
So oder so ähnlich kursiert sie mit unterschiedlichen Streckenangaben, Schuhbezeichnungen und Anreden in den vielen mittlerweile verfügbaren Medien.

Nun gut, jetzt bin ich also ein Millimeterchen in den Schuhen eines so berichtenden Autors gegangen und berichtige selbstverständlich mein Urteil von damals.
Er hat vermutlich keinen Quatsch erzählt, denn seit eben kann ich sagen, dass es sowas, gibt. Ich habe meine Geschichten- bzw. Erinnerungsidee glasklar gesehen, gefühlt und ausgeschmückt, bevor ich mir blinzelnd die oben genannten völlig sinnlosen Notizen gemacht habe.

Jetzt vermute ich, dass ich ihm wohl auch gleich hätte glauben können, dann wäre mein eigenes Erleben in dieser Richtung vielleicht überflüssig gewesen und ich hätte heute ein paar Stündchen mehr erholsamen tiefen Schlaf bekommen, statt dieser kurzen Döserei nach der Notiz.

Ob ich mir das Selbererleben an dieser Stelle erspart hätte, wenn ich dem Autor, der von seinem Erleben berichtete, sofort geglaubt hätte?

Wer weiß. Diesen Fall kann ich jetzt nachträglich nicht klären.
Für die Zukunft könnte ich mir allerdings vornehmen, irgendeine Sache, die mir jemand erzählt und die ich für Quatsch halte, einfach, weil mir die grundlegende Faktenkenntnis und vor allem die Erfahrung an dieser Stelle fehlt, einmal probeweise zu glauben.

Jedenfalls vielleicht zusätzlich zu dem, was ich bisher aufgrund meiner Erfahrung für richtig und keinen Quatsch gehalten habe.

Bisher glaubte ich ja nur Menschen, die von sich behaupteten, dass sie noch niemals von Ideen aus dem Schlaf geschreckt wurden.

Ob es wohl auch Menschen gibt, die mit einer solchen Idee kurz aus dem Schlaf aufwachen, sie so klar und sinnvoll notieren, dass sie am nächsten Morgen damit etwas anfangen und vielleicht sogar darauf aufbauen können?

Und wenn ja, könnte ich ihnen ohne eigenes Erleben glauben, oder müsste ich die Erzählung davon ablehnen bis ich selbst Ähnliches selbst erlebe?

Nun gut. Ehe ich mich jetzt noch weiter im Kreis der nichtzubeantwortenden Fragen drehe, wende ich mich einem anderen indianischen Sprichwort zu, das nämlich folgendes empfiehlt: „Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab!“

Und das mache ich jetzt. Obwohl ich ja eigentlich nicht wissen kann, ob das Pferd wirklich tot ist und ich nicht doch eine Antwort in einem Stammbaum oder einer Verwandtschaft morgens um vier auf einem Bahnhof finden könnte.



2 Kommentare:

  1. das sind interessante Überlegungen liebe Brigitta, aber diese ERfahrung hab ich selbst schon gemacht,
    deutliche Bilder vor seinem inneren Auge zu sehen an die man sich morgens oft nicht erinnern kann sind phantasievollen menschen - glaub ich eigen und für sie überhaupt nicht ungewöhnlich, im Grunde nur ein deutliches Zeichen dass sie zu den nachdenkenden gehören und nicht zu den oberflächlichen die alles mit Leichtigkeit aus Bequemlichkeit einfach abhaken, denn jeder Denkprozess ist ja manchmal nicht gerade unanstrengend und beschäftigen sehr.
    wie du siehst bewege ich mich auf meiner "Schreibmaschiene" und bin durchaus nicht ganz "-weg vom fenster".
    Dir danke ich für deinen letzten Kommentar.
    wie man sieht gehts doch nicht ganz "-ohne schreiben...und auch lesen.
    lieben Gruß angelface

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    1. Wie schön, dass du mit deiner "Schreibmaschine" gut zurecht kommst und an dieser Stelle nicht verzichten musst. Freut mich! lieben Gruß Brigitta

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