Sonntag, 22. November 2020

Bald 60 - 42

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Davon, dass es in Indien Palmblattleser gibt, die einem, wenn man denn zu ihnen findet, etwas über die ganz speziellen, persönlichen Talente, Aufgaben, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erzählen können, erfuhr ich von einem Kunden.

Er spazierte eines Tages in den Laden, sah sich bei einer Tasse Kaffee im Bereich der esoterischen Bücher um, erzählte einen verrückten Schwank aus seinem Leben und erwähnte die Bibliotheken in diesem fernen Land.

Es sei wohl nicht einfach, die spezielle Bibliothek zu finden, in der das eigene Palmblatt sei und man müsste unbedingt persönlich dahin.
Dann allerdings könnte das erleuchtend und extrem wichtig sein.

Ich erfuhr, dass er, der etwa Mitte 30-jährige Mann, ein leidenschaftlicher Polizist war, der, aus seiner Sicht zu Unrecht und viel zu früh vom Dienst suspendiert worden war und sich nun bereits in Pension befand.

Er hatte zur Aufklärung eines Mordes, bei dem die Leiche fehlte, eine Hellseherin zurate gezogen. Die hatte ihm die notwendigen Tipps für den Fundort der Leiche geliefert und angebliche Details zum Tathergang berichtet. Aufgrund ihrer Angaben wollte er im Fundament einer Baustelle suchen lassen und bestand darauf, sie vor Gericht zu diesem und zu anderen Fällen als Zeugin auftreten zu lassen.

Kurz gesagt: beides wurde ihm untersagt und beides hat ihn auf die Palme gebracht. Weil er sicher war, dass sie Recht hatte und dass es kurzsichtig sei, solch wunderbare Hilfen nicht zu verwenden.

Die Beweise, dass oder ob sie Recht hatte, musste er wohl schuldig bleiben, weil man ihn unter anderem wegen dieser Vorgänge nicht mehr arbeiten ließ.

Nun hatte er Zeit und kam halt öfter zum Quatschen in den Laden. Also genaugenommen, redete er und ich hörte zu. Was sollte ich auch tun, wenn kein anderer Kunde im Laden war, den es zu bedienen galt?

Die Palmblattlesergeschichte fand ich irgendwie interessant, dachte aber nicht, dass ich jemals nach Indien käme. Ich war mit Laden und Praxis quasi rund um die Uhr eingespannt und erschien mir selbst unabkömmlich.
Also nickte ich zu seiner Erzählung, dass vor zirka 5000 Jahren Weise das Leben bestimmter, heute lebender Personen aufgeschrieben haben sollen, die an einem bestimmten Tag zu der bestimmten Bibliothek kommen würden, um etwas, für das gegenwärtige Leben, Wesentliches zu erfahren.
Ich fand es eine schöne, fantastische Geschichte, die mit mir aber wohl nichts zu tun hatte.

Wenige Jahre später, änderte sich meine Situation zumindest vorübergehend. Ich wollte den Laden, der mich am meisten fesselte, aufgeben.
Doch der Gatte war mittlerweile auch auf dem spirituellen Gebiet unterwegs, hatte Ausbildungen zum Schamanen gemacht, war bereits mit dieser Art der Seelenarbeit erfolgreich in die Praxis eingestiegen und verhinderte die Geschäftsaufgabe, indem er den Laden hauptverantwortlich übernahm.

So war ich zum ersten Mal seit langem zum Jahresende, plötzlich frei und suchte nach etwas, dass mir diese vermeintlich neue freiere Epoche meines Lebens einläuten würde.

In dieser Phase kam ich eines Tages im Dezember zur Nachmittagsschicht in den Laden.
Dezember bedeutet Weihnachtsgeschäft, und Weihnachtsgeschäft bedeutete normalerweise: voller Laden, jedes Fitzelchen muss als Geschenk verpackt werden und vieles braucht Beratung, weil Schenken oft gar nicht so leicht ist.

Nicht so an diesem Nachmittag. Als ich kam, stand niemand vor dem Tür und ich konnte ganz in Ruhe einen Rundgang machen und mir ansehen, was der Gatte morgens im Laden verändert hatte. Und siehe da, es sprang mir ein Buch ins Auge, das ich nicht kannte. Titel: „Die Palmblattbibliotheken in Indien“ oder so ähnlich. Er hatte das für Kunden bestellt, die es dann doch nicht genommen hatten, also landete es in der Auslage.

Mir fiel in Millisekundenschnelle dieser Polizist mit seinen Erzählungen wieder ein und ich wusste, dass ich meine angebliche neu gewonnene Freiheit mit einer Indienreise im Januar beginnen wollte.

Also schnappte ich mir das Buch und las hektisch Seite für Seite mit der Frage: Wo, bitteschön, muss ich denn genau hin? Wo finde ich „meine“ Bibliothek?

Und tatsächlich war es so, dass der Laden während ich las, menschenleer blieb und die Tür sich zum ersten Mal öffnete, als ich an der Stelle mit der Adresse eines Palmblattlesers in Bangalore angekommen war, den die Autorin empfahl.

In den verbliebenen eineinhalb Stunden Öffnungszeit machte ich, dann viel schneller, den üblichen Umsatz eines Dezembernachmittags und verkündete am Abend zu Hause völlig überzeugt: „Im Januar fahre ich nach Indien“.

𝐹𝑜𝑟𝑡𝑠𝑒𝑡𝑧𝑢𝑛𝑔 𝑓𝑜𝑙𝑔𝑡 𝑚𝑜𝑟𝑔𝑒𝑛



3 Kommentare:

  1. oh - da bin ich aber in echt auf die Fortsetzung der Geschichte gespannt, das klingt interessant auf aufregend...
    selbst wenn ich esoterisch nie auf der Suche war und bin, klingt es nach zufälligen begegnungen die so sein sollen, denn zwischen Himmel und Erde gibt es sooo vieles was wir nicht verstehen oder auch nicht verstehen sollen, einfach weil es unsere geistigen Fähigkeiten nicht erlauben aber wir haben ja die Möglichekit an so
    vieles zu glauben...
    solange es keinem anderen schadet - immer....
    da wart ich dann frauf...
    herzlichst angel wieder on Tour...!:-))

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    1. Ja kommt mir auch so vor, als sollte es genau so sein ...
      Zumal ich nicht weiß, wie er in genau meinen Laden geraten ist ... er wohnte wohl weiter weg ...

      lieben Gruß

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  2. auch die Fprtsetzung der Geschichte, sehr interessant...

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