Montag, 28. September 2020

Bald 60 - 10

Es ist einer meiner ersten Tage als Auszubildende bei der Sparkasse, bei der mein Vater bereits seit Jahrzehnten arbeitet und seit vielen Jahren in unterschiedlichen Geschäftsstellen Leiter war und zu dem Zeitpunkt ist, an dem ich schockartig in eine seltsame Welt aufwachen sollte, die mir noch verrückter erscheint als die Schulwelt vorher.


Naiv wie ich war, fand ich diese Konstellation völlig unproblematisch, ja nicht einmal bedeutungsvoll. Ich hatte ja keinerlei Vorstellung von Firmen mit ca. 1000 Mitarbeitern verteilt auf eine einzige Stadt, die über Jahre beinahe alle Auszubildenden übernahm, die wollten und die vorher viele verschiedene Zweigstellen dieser Firma durchlaufen hatten.

Dass ich mir damals mit meinem Vater einen seltenen Nachnamen teilte und dieser „Verein“ einem Dorf glich, in dem „jeder jeden kannte“ und es die ein oder andere Animosität ob der Karrierestufen der Kollegen untereinander gab, war mir nicht klar.

Ich war 19, kam direkt von der Schule, hatte das Abitur in der Tasche und war nach einem, wie ich dachte, normalen Bewerbungsverfahren angenommen worden.

Als Schülerin hatte ich jahrelang Babygesittet, Nachhilfe gegeben, Pullover für Boutiquen gestrickt und in den letzten Ferien vor dem Abitur in einem Geschenkartikelladen gearbeitet. Kurz gesagt, ich hatte keine Ahnung vom Arbeiten, von firmeninternen Verflechtungen und Händen die Hände waschen oder Menschen, die eben genau das vermuten und verurteilen.

So nimmt mich also bereits die erste Geschäftsstellenleiterin quasi zur Begrüßung zur Seite und teilt mir ungefragt mit, dass ich natürlich keine Extrabehandlung zu erwarten hätte. Das wäre ihr nämlich wirklich zu blöd.
Ich versinke im Erdboden, verstehe nur Bahnhof, bin sowieso ob der neuen Atmosphäre eingeschüchtert und habe keine Ahnung, was sie von mir will.

Den Schock dieses ersten Tages schleppte ich durch die zweieinhalb Jahre der Lehre. Das und ähnliches, so offen oder versteckt, ein bisschen gnädig oder gänzlich ungnädig, habe ich während der Zeit noch häufig erlebt.

Ich bin durchgekommen. Ich habe den Kaufmannsgehilfenbrief erhalten und bin übernommen worden.

Eingesetzt wurde ich in einer Geschäftsstelle als Sparverkehrsachbearbeiterin. Als Witz nannte ich mich Spaßverkehrssachbearbeiterin. Das war aber ein mieser Scherz, denn mit Spaß hatte das nichts zu tun. Es sollte übel weitergehen und noch unangenehmer werden.

Es war eine kleine Geschäftsstelle, in der mein Vater Jahre vorher Leiter war. Fast alle Kunden kannten ihn noch. So gut wie alle Kunden hatten ihn in besonders guter Erinnerung. Und sie alle brauchten beim Blick auf mein Namensschild mit dem seltenen Nachnamen, das ich während der zwei Jahre dort tragen musste, während ich sie alle am Schalter bediente, keine hellsichtigen Fähigkeiten um zu mindestens an verwandtschaftliche Verbindungen zu denken.

Meine direkte Vorgesetzte, die einen Narren an einer meiner Kolleginnen gefressen hatte, und der sie den etwas besser dotierten Platz verschaffen wollte, den ich ohne eigenes Verschulden innehatte, hörte immer wieder die Lobeshymnen auf einen ihrer Vorgänger im Zusammenhang mit mir.

Eine vollkommen ungünstige Lage. Insgesamt ziemlich aussichtslos für mich, hatte ich doch immer noch keinen blassen Schimmer wie man sich in Situationen verhält, die heute Mobbing genannt würden.

Eines Tages bekamen wir einen neuen Geschäftsstellenleiter, der zuvor Ausbilder war, diesen ganzen Betrieb nicht von der Pieke auf durchlaufen hatte, sondern irgendwie von außen gekommen war.
Er wurde unser aller Chef, samt der Betriebsleiterin, die mit aller Gewalt versuchte mir das Leben schwer zu machen.

Schon nach ein paar Tagen fragte er mich, wie ich zurechtkäme und bot an, dass ich, falls ich Hilfe bräuchte, zu ihm kommen könne.
Er hatte die Situation, in der ich noch lange Zeit glaubte, mich mit Leistung behaupten zu müssen und zu können oder wenigstens irgendwie durchzukommen, in Windeseile durchschaut und war Manns genug, sich über die Beliebtheit eines seiner Vorgänger zu freuen und mich eines Tages wirklich aus der vermasselten Situation zu befreien.

Als es soweit war, dass ich wirklich nicht mehr konnte, hat er keine Sekunde gezögert und mir erst einmal durch die Versetzung in eine Stabsabteilung Luft verschafft.
Den Satz „hat sie es geschafft und sie klein gekriegt?“ habe ich mitgenommen und irgendwann später begriffen.

In der neuen Abteilung war mein Name wurscht und dort hatte ich Zeit und Muße genug, mir einzugestehen, dass dieser Beruf und dieses Umfeld dort wirklich nichts für mich ist. Und irgendwie habe ich dort den Mut gefunden, ohne zu wissen wie es weitergehen sollte, zu kündigen.

Über die Betriebsleiterin von damals hörte ich nach vielen Jahren, dass sie wegen Burnouts einige Aufenthalte in Psychiatrien hinter sich hatte und wegen ihrer vielen Jahre im Betrieb nun in einem Wiedereingliederungsprogramm aufgenommen worden war.



2 Kommentare:

  1. oh jee...welch ein schwerer Start ins Leben liebe Brigitta,
    das wünscht man niemandem, schon gar nicht einer damals 19 jährigen die ihr Näschen zum ersten Mal in die Luft streckt um am Leben zu schnuppern.

    Hast du eigentlich schon deine Biographie geschrieben?....
    Spätestens jetzt solltest du, denn darin finden sich viele lohnenswert zu erzählende Geschichten
    vom Groß werden
    erwachsen sein und wollen
    von Niederlagen
    und ERfolgen...
    vom Alltag und besonderen Lebenstationen und Situationen die mann/frau durchlebt hat.
    schon beim ersten "Job" mit Mobbing in berührung zu kommen ist wirklich
    ein ausgesprochener schlechter Start ins Leben...
    danke für die Geschichte...
    herzlichst angel

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  2. Danke dir wieder für deine Gedanken dazu und die Frage. Nein bisher habe ich keine Biografie geschrieben, aber wer weiß, was aus diesen Geschichten wird. Ich schreibe Montags bis Freitags je eine Geschichte (u.a) aus meinem Leben. Vielleicht ergibt das ja eines Tages miteinander Sinn. Wer weiß. Ich mache erstmal weiter damit .:-))) herzliche Grüße

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