Dienstag, 29. September 2020

Bald 60 - 11

 Natürlich hätten sie die Fotos gerne auf ihrer Website veröffentlicht.

Sie wurden bei einer öffentlichen Lesung aufgenommen. Ich durfte eine Kurzgeschichte zu einer Anthologie beitragen, wurde eingeladen, sie bei einer kleinen Veranstaltung selbst vorzulesen und dabei fotografiert.
Das macht den meisten Menschen ja nichts aus. Mir aber schon.

Als ich die Fotos im Netz sah, habe ich mich extrem eschrocken und den, den ich für den Verantwortlichen dafür hielt angeschrieben und um Löschung gebeten. Er schrieb sinngemäß irgendetwas von hübscher Frau, schön getroffen, aber wenn ich nicht will, dann veranlasst er die Löschung. Ich schrieb vermutlich etwas wie: bitte bitte löschen. Kurz darauf erreichte mich eine Mail, die an sich für die Person gedacht war, die die Website betreute. In ihr schilderte er meine Bitte und setzte hinzu, dass Verhandlungen über Änderungen in diesem Fall wohl sinnlos seien, er hielte mein Problem für ein grundsätzliches.

Wie Recht er hatte. Das habe ich ihm dann auch lachend geschrieben und es entspann sich noch ein längerer netter Maildialog. Die Fotos wurden, wie er ja schon vermutete, auf meinen weiterhin bestehenden Wunsch später wirklich gelöscht.

Ich finde es ganz schrecklich, fotografiert zu werden, weil ich optisch ein ganz anderes Bild von mir habe als ich dann „schwarz auf weiß“ sehe. Mir geht es nicht darum, dass es schöner oder glatter oder lustiger oder ernster sein soll. Ich finde einfach oft falsch, was ich da auf Fotos sehe.
Ist es doch anders als ich mich aus dem Spiegel kenne. Manche Gesichtsausdrücke mache ich vor dem Spiegel nicht und bin hochgradig erstaunt, wenn ich sie dann in Zusammenhang mit mir und meinem Gesicht sehe.

Am aller schlimmsten sind Passfotos. Wenn die gemacht werden müssen, bin ich schon im Vorfeld genervt und schlecht gelaunt.
So wie heute, weil der Personalausweis verlängert werden muss.

Anlässlich dieses Umstands habe ich mir alte Ausweisfotos angesehen, die im Abstand von jeweils zirka 10 Jahren gemacht wurden. Sie so vergleichen zu können, finde ich dann wieder ganz schön.
So als hätten die Fotos, wenn sie älter sind nichts mehr mit mir zu tun oder vielleicht habe ich auch einfach nur mein Spiegelbild aus diesen alten Zeiten erfolgreich vergessen, sodass ich sie nicht mehr falsch finden kann.

Vor zweieinhalb Jahren konnte ich nicht mehr natürlich und noch nicht mit Gerät sprechen, nur hauchend flüstern, brauchte aber Passfotos für meinen Schwerbehindertenausweis, der an sich für wenig nütze ist. Das Beste in Zusammenhang mit diesem Ausweis war, dass wir mit seiner Hilfe kostenlos bei Nieselregen an einer sehr langen Besucherschlange vorbei direkt in den Mailänder Dom hineingehen durften. Zackzack. Ohne Nass zu werden und ohne Warten.

Aber zurück zu dem Passfoto für diesen Ausweis. Ich schrieb damals auf eine Ritschratschtafel, die ich meinem Gegenüber vor die Nase hielt oder in eine App auf dem Smartphone, dass dann für mich sprach. Im Falle des Fotoladens hatte ich das, was ich wollte auf die Tafel geschrieben.
Im Laden wurde gerade eine Dame bedient und ich stellte mich schweigend daneben. Der Photograph bzw. Ladeninhaber deutete ebenfalls schweigend und fragend mit dem Kopf in meine Richtung. Normalerweise hätte ich also gesagt, dass ich Passfotos brauche. Da ich das aber ja nicht konnte, habe ich ihm freundlich lächelnd die bereits deutlich beschriftete Tafel hingehalten. Daraufhin seufzte er, griff unter die Theke, zauberte einen 5 Euroschein hervor und schob in mir herüber.

Ich brauchte etwas Zeit, um zu begreifen, was passiert war. Kam aber drauf. Er hatte nicht lesen können, was ich geschrieben hatte, hat angenommen, ich sei eine dieser Bettlerinnen und wollte sich ob der Kundin, die er gerade bediente, wohl großzügig zeigen.

Da ich die Bilder dringend brauchte, tippte ich also mein Begehr in die App, gab ihm die 5 Euro zurück und hielt ihm das Telefon sehr laut gestellt in Richtung Ohr.
Er erschrak kurz als er verstand, bat mich mit nach hinten zu kommen, machte wirklich gruselige Fotos von mir, berechnete den vollen Preis und entschuldigte sich mit keiner Silbe für sein Versehen.

Die Bilder habe ich in der Collage hier weggelassen, aber für den Schwerbehindertenausweis sind sie natürlich absolut adäquat geworden.

Heute waren wir in einem anderen Fotoladen. Inhaber ist eine ältere Dame mit ihrem Mann. Ganz süße Personen. Es gibt ja Menschen, die das Kunststück fertigbringen, zu erwirken, dass man sich auch nach einer kurzen Begegnung mit ihnen ein bisschen besser fühlt als vorher. Solche waren das heute. Sehr schön.

Und auch mit dem entstandenen Foto kann ich leben.




2 Kommentare:

  1. welch eine Geschichte..
    nicht zu fassen...
    das Leben erzählt sie wir geben sie nur weiter, aber du siehst mich schmunzeln ob deiner Eigenwilligkeit doch zu erreichen was du willst und brauchst trotz der Einschränkungen...
    ja - mit dem Foto kannst du gut leben, das sieht wunderhübsch aus und spätestens wenn man sich
    darauf wiedererkennt - ist es auch gut...für die nächsten 10 Jahre...
    herzlichst angel

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    1. Jaja. Manches ist in der Realität weniger einschränkend als in der Vorstellung davor. In den meisten Fällen reicht es, selbstverständlich damit umzugehen. + Ja. 10! Jahre ( alleine schon das *lach)
      Dank dir! Herzlichen Gruß
      Brigitta

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