Sonntag, 27. September 2020

Bald 60 - 9

Die Schwester ist sich aus irgendeinem Grund sicher, dass ich zu blöd zum Stricken Lernen bin und versteigt sich zu der laut ausgesprochenen Prognose: „das Stricken lernst du nie“.


Sie ist eine von wenigen Nonnen des Ordens der „Lieben Frau“ im Ornat, die an dem Gymnasium in katholischer Trägerschaft lehren, welches ich besuche. Täglich besuche, auch samstags, weil aus mir was Besseres werden soll und weil die Schule einen guten Ruf hat.

Es ist eine Mädchenschule und die Nonnen werden durch weltliche Lehrer unterstützt. Ich gehöre zum ersten Jahrgang Schülerinnen, die Hosen tragen dürfen. Bis dahin waren Röcke Pflicht.

Die Entscheidung dazu traf die neue Rektorin, selbst Nonne. Und das sollte die erste große Entscheidung sein, die sie zu treffen hatte und Gottseidank getroffen hat. Es folgten weitere weitreichende, gipfelnd in der Öffnung der Schule für Jungens, die ich aber nicht mehr live erlebte.

War ich in die Grundschule noch gerne gegangen, so hat sich die Freude hier rasch verabschiedet. Ich hatte selten das Gefühl, etwas wirklich gut machen zu können oder irgendetwas Praktisches oder Sinnvolles zu lernen.

So wie das Stricken. Es gibt verschiedene Arten die Nadeln zu halten und dann zu bewegen. Gelehrt wurde eine bestimmte und das war die, die erlaubt war. Die konnte ich nicht. Meine Mutter strickte anders. Sie konnte das. Sogar Socken, sogar blind. Sie hatte es lernen müssen. Als aus Schlesien Vertriebene, damals 11 Jahre alt musste sie über den Schulbüchern, die schon Luxus waren, blind Socken stricken, die dann gegen Lebensmittel getauscht wurden.

Bei mir war das Stricken Lernen und überhaupt das gesamte gymnasiale Lernen Luxus, dessen Notwendigkeit ich nicht sehen konnte. Meine Mutter hätte viel darum gegeben, eine ordentliche Schulbildung bekommen zu haben. Mich hat da Vieles genervt.

Eines Tages sah ich im Schaufenster vom Wehmeyer im neuen Einkaufscenter um die Ecke eine lange Strickjacke mit herrlichen Farb-Streifen, die ich unbedingt haben wollte. Sie sollte 80 DM kosten und natürlich fand das die Mutter zu viel für eine einzige Strickjacke und sagte, die kannst du dir selbst stricken und ging mit mir Wolle kaufen.

Sie hat die Maschen angeschlagen, die erste Reihe gestrickt und mir dann in die Hand gedrückt. Mit der Prognose und der befohlenen Technik der christlichen Ordensfrau belastet, tat ich mich sehr schwer. Masche für Masche war eine ähnliche Qual wie damals das Bündchen am Häkelpullunder im Handarbeitsunterricht, den letztlich meine Mutter fertig stellte, weil ich es ja nicht konnte.

Diese Jacke aber wollte ich unbedingt haben. Also blieb mir nichts Anderes übrig als mich Reihe für Reihe vorwärts zu quälen. Als ich mir erlaubte, die Nadelhaltung und Strickart meiner Mutter durch Abgucken zu übernehmen, ging es schon leichter. Und leicht war es dann spätestens beim zweiten Ärmel. Weil ich da schon glauben konnte, dass es klappen wird und ich eine zumindest ähnliche Jacke zur ersehnten Wehmeyerware haben werde.

Wurde mir bei diesem ersten Teil noch das Maschenanschlagen, Abstricken, Zusammennähen und Umhäkeln abgenommen, hat es nicht mehr lange gedauert bis ich auch das selbständig konnte und machte.

Da mir in der Schule grundsätzlich langweilig war oder ich mich dauernd über irgendetwas aufgeregt habe, hat mich das Stricken im Unterricht, dass ich dann auch bald schon blind konnte oft beruhigt und mir über so manches Drama hinweg geholfen.

Zum Abitur haben wir strickenden Schülerinnen dann den Lehrern, die unsere klappernden Nadeln jahrelang ausgehalten hatten, zur Erinnerung Strickmännchen geschenkt. Es waren viele Lehrer. Es war ein ganzer Korb voll. Ob sie das nachträglich wohl über die erlittene Störung getröstet hat? Wer weiß.

Gefragt habe ich sie das genauso wenig wie ein paar Jahre später den Berufsschullehrer, der als einziger das Stricken im Unterricht erlaubte und zum Dank am letzten Berufsschultag einen irre langen Schal bekam, an dem wir alle ein Jahr lang immer wieder mit der jeweils aktuellen Wolle ein Stück gestrickt hatten.

Ich habe das Stricken gelernt. Gott sei Dank. Obwohl es wohl auch anders hätte kommen können, wie eine seiner Repräsentantinnen glaubte zu wissen.



4 Kommentare:

  1. liebe Brigitte in meinen Augen bist du ein "Strickwunder":-)) ich habs nie gelernt außer eine Strickliesel zu bewegen, frag mich aber bitte nicht bei welchen Lehrern dies war ich war ja auch bei den Nonnen, den "englischen Frolleins" damals in Bamberg die mich ziemlich beim Klavierunterricht getriezt haben und die ich alles andere als mochte!
    Nur Mädchenschule - stress-langweilig und furchteinflößend zugleich...
    aber die Gymnasialklasse hab ich auch nicht zuende gemacht, ...sodass mein Französisch leider ins Stocken kam...leider sag ich heute, da kann man ganze Bücher mit füllen...
    deine Geschichte liest sich sehr interessant, aber an eine JACKE hätte ich mich nie rangetraut,,,,heute nicht mal mehr an Socken obwohl ich selbstgestrickte so gerne und nur noch trage.._))
    sie halten die Füß einfach schön warm....
    herzliebe Grüße angelface

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  2. Ja. Wohl dem/der, der/die Socken stricken kann. DAS hab ich wirklich nie gelernt. Das ist mir zu fizzelig, wobei ich sie auch gerne trage. Dank dir wieder fürs Teilen dessen, was meine Erinnerungen in dir ausgelöst haben!!! und herzliche Grüße

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  3. ich denke spätestens mit 60 - sind auch sonstige Nichtschreiber bereit zurückzudenken um aufzuschreiben was man so alles erlebt und durchlebt hat, zumindest die, die denken und sich mit sich selbst auseinandersetzen.Andere sagen vielleicht Quatsch -wozu-was soll das - die haben aber auch den Sinn einer Biographie, Gedanken an früher zur Aufarbeitung ect.nicht begriffen oder tatsächlich selbst nichts wissenwertes erlebt.
    sind viell.weder Poesten, noch dichter - geschwege denn große Denker sondern aben ihre grauen Zellen längst verlassen m Einkaufswahn des Lebens...
    ach, ich glaube mit dir ließe es sich gut plaudern und unterhalten...
    lieben Gruß angel

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  4. Ja. Das könnten wir beide wohl gut miteinander. Und im Grunde machen wir es ja hier auf ungewöhnliche aber wirkungsvolle Art und Weise. :-)))
    Und wer weiß, wozu die unterschiedlichen Arten ein Leben zu leben gut sind. Mir persönlich liegt es, in Ruhe in die Tiefe zu gehen, aber es ist natürlich auch ein Glück, dass ich die Umstände dafür habe ...
    lieben Gruß

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