Donnerstag, 24. September 2020

Bald 60 - 8

 8


Ich werde wohl so 12 oder 13 gewesen sein als ich mir zu Weihnachten einen Kalender mit Fotos von Chris Roberts gewünscht habe. Ich kannte alle seiner Hits, war ich doch regelmäßige ZDF-Hitparade-Zuschauerin.
Manchmal habe ich überlegt, ob ich wohl an die während seines Auftritts eingeblendete Adresse wegen eines Autogramms schreiben sollte. Habe es aber nie gemacht, weil es mir komisch vorkam, dass viele Künstler die gleiche Adresse hatten.
Auf die naheliegende Erklärung kam ich erst viele Jahre später. So viele Plattenfirmen gab es ja damals auch nicht.

Neben einigen anderen Geschenken bekam ich den gewünschten Kalender und war selig. Das kleinste, aber wichtigste Geschenk. Er fand einen Ehrenplatz an der Wand meines Jugendzimmers und ich habe ihn das ganze Jahr über in Ehren gehalten.

Er war bei allem dabei. Auch wenn ich mit dem Mikrofon Schlager vom Radio auf den Kassettenrekorder aufnahm und sie dann später, ohne klaren Anfang und Ende mithilfe der TOP-Schlagertexthefte, die ich mir jeden Monat vom Taschengeld kaufte, mitsang.
Auch das natürlich wieder mit Mikrofon, allerdings ohne Koppelung an den Philips-tasten-apparat, dafür aber vor der spiegelnden Glasscheibe des Schranks in meinem Zimmer, der vormals ein 50erJahrewohnzimmerschrank war.

Ich mochte Schlager, trällerte auch auf dem Rad, durch die Wohnsiedlung fahrend, gerne mal welche vor mich hin. Sehr oft auch das Juliane Werding Lied „Am Tag als Conny Kramer starb“. Sang allerdings bis der Text im TOP-Heft erschien „Am Tag als Conny kam und starb und alle Glocken klangen …“.
Und selbst nachdem ich dann den Text wirklich kannte, begriff ich lange nicht, worum es im Lied ging.

Da war „Du kannst nicht immer 17 sein, Liebling das kannst du nicht“ schon leichter zu verstehen.
Zirka 40 Jahre nach dem Jahr mit dem Chris-Roberts-Kalender wollte ich nach einem kurzen Aufenthalt auf Mallorca von Palma zurück nach Köln fliegen. Wir lebten da bereits in Deutschland. War eingecheckt und hatte den ewig langen Weg zum Gate schon hinter mir, als klar wurde, die Maschine hat zwei bis drei Stunden Verspätung.

Ich hatte kein Buch dabei, mit meinem Telefon konnte ich nur telefonieren oder SMS schreiben und so war es klar, dass ich mir die Leute, die mit mir warteten mal genauer betrachtete und mit einigen ins Gespräch kam.

Es stellte sich heraus, dass mehr als die Hälfte der auf den gleichen Flieger Wartenden miteinander eine ganze Woche auf einem Schiff im Mittelmeer verbracht hatten, auf dem es den ganzen Tag Live-Schlagerpartys gab. Pauschalreise. Die Stars von damals waren mit an Bord und mir wurde in den höchsten Tönen geschildert, wie wunderbar die sind. So richtig zum Anfassen. Einfach Menschen wie du und ich.

Mir wurden einige Namen genannt, die ich bis heute wieder vergessen habe und eine der Damen, mit denen ich sprach, deutete mit dem Kopf immer wieder schräg hinter mich. Als ich fragend guckte, sagte sie „na und er!“. Was mir, auch als ich zum zweiten Mal in die angegebene Richtung guckte, keine Information bescherte. Ich sah einen Mann mit breitem Gesicht und auffälliger schwarzer Perücke und wusste nicht, wer das sein könnte.

Gottseidank gab es ja das Frauengrüppchen vom Schiff. „Na. Den müssten Sie aber erkennen“, sagt die ehemals mit dem Kopf Deutende und nun Schüttelnde, „Chris Roberts sieht doch aus wie immer“.

Ach du meine Güte, dachte ich, fragte aber, ob sie wüsste, warum er denn eine Perücke trägt. Wusste sie nicht. „Ist schon immer so“. Naja. Die Frau war offensichtlich wesentlich jünger als ich und alte Fotos von ihm kannte sie vielleicht gar nicht.

Da war er also, der Schwarm meiner frühestens Teenagerjahre, trug eine Perücke, sang auf Schiffen und wartete sich wie wir alle „die Beine in den Bauch“.

Irgendwann kam das Flugzeug und zweieinhalb Stunden später stand ich dann neben ihm am Gepäckband.
Hätte ich da schon gewusst, dass er die Textzeile „Einmal da wirst Du siebzig sein, dann bin ich noch bei Dir“ nicht einmal theoretisch würde einlösen können, hätte ich ihn vielleicht auf die Bedeutung von Versprechen angesprochen.

Denn diese Zeile hatte ich ja auf Anhieb verstanden. Und in meinen Jugendträumen selbstverständlich auf mich bezogen.
Aber das wusste ich ja Gottseidank nicht.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen