Mittwoch, 23. September 2020

Bald 60 - 7

„Trau‘ dich, trau‘ dir und mache diese Welt bunt“.

An diesen Auftrag wurde ich heute erinnert. Vor mehr als 30 Jahren, mitten in der Psychotherapeut:innenausbildung sollten wir herausfinden, was wohl unsere Seelenaufgabe ist.

Wir bekamen einige Anregungen, Vorschläge zur Vorgehensweise und jede Menge Zeit, um uns darum zu kümmern. Genaue Details weiß ich nicht mehr, aber das Ergebnis erinnere ich wie heute.

Ich hatte diesen Satz innerlich gehört und dann in sehr farbig auf Papier gebracht, so dass ich ihn der Ausbildungsgruppe zeigen konnte. Deren Reaktion erinnere ich auch nicht mehr, vermute aber, dass es die Wenigsten erstaunt hat.

Schon als Jugendliche in meiner Heimatstadt Köln bin ich stets in selbstgebastelter farbenfroher Kleidung durch die Gegend gelaufen. So dass ich manches Mal von der anderen Straßenseite die abfällig vorgetragene Frage hörte: „ja, hammer denn schon Karneval?“ und ich mich an Karnevalstagen, an denen ich zum Beispiel zur Arbeit unterwegs war, und keinesfalls kostümiert sein durfte, vorsichtshalber in komplett schwarz gekleidet habe, um jeder Verwechslung aus dem Weg zu gehen.

Mit etwas mehr als Mitte 20 habe ich mein Leben in Lila getaucht. Die unterschiedlichsten Töne, aber alles Lila. Irgendwann war meine gesamte Wohnung lila gestrichen, die Wände, die Möbel, die Türen, die Gardinen, die Kissen, der Teppichboden, Blumentöpfe und überhaupt alles. Und neben meinen Haaren wurde auch die Kleidung nach und nach komplett lila. Als ich dann zu irgendeinem Geburtstag, vermutlich dem 27. oder 28. nur lila Geschenke bekommen habe, war ich fertig mit der Farbe und habe mich wieder breiter orientiert und mich nach und nach wieder dem gesamten Farbspektrum zugewandt.

Als ich den Modeschmuck-/Geschenkartikelladen in Gehrden bei Hannover eröffnen wollte, habe ich meiner Art entsprechend große Mengen des damals modernen riesengroßen sehr farbenfrohen und auffälligen Holzschmucks eingekauft, den Laden bunt eingerichtet und seltsamerweise keinerlei Zweifel gehabt, dass das alles genau das Richtige auch für diese Kleinstadt ist, in die ich kürzlich erst gezogen war.

Ganz kurz vor der Eröffnung habe ich mir die Leute in der Fußgängerzone mal genauer betrachtet und festgestellt, dass der Schmuck den sie tragen nur mit der Lupe zu sehen ist. Kleine Ohrsteckerchen, filigrane Kettchen und so. An dem Tag bekam ich dann doch kurz  Bedenken, die aber am Eröffnungstag komplett zerstreut wurden. In der Zeit der Renovierung hatte ich all das bunte Zeugs schon in wechselnden Dekorationen im Schaufenster untergebracht und die Gehrdener wussten also, was sie im Laden erwartete und kamen zu Hauf zu Eröffnung und es dauerte nicht lange, bis sich der Schmuckstil vieler Ortsansässiger verändert hatte.

Mein Marktstand auf Mallorca einige Jahre später war auch schon weithin sichtbar. Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass auch der sehr üppig und farbenfroh aus der Menge herausstach.

Mittlerweile bin ich selbst nicht mehr ganz so bunt gekleidet, umgebe mich aber gerne mit vielen Farben.

Während ich schreibe denke ich, dass sich dieses „Bunt“ im entdeckten oder vermuteten Auftrag vielleicht ja nicht nur auf Farben bezieht.

Ich blühe auch auf, wenn viel Verschiedenes einfach nebeneinander oder irgendwie miteinander verwoben ist. Das können unterschiedliche Materialien, unterschiedliche Menschen, Nationalitäten, Standpunkte oder einfach Meinungen sein.

Ich liebe Vielfalt und wenn alles miteinander existiert und unverurteilt beieinander ist und sein darf.

Ich hab’s halt gerne vielfältig auch auf die Gefahr hin, dass es dann manch einem „mit mir zu bunt wird“.



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