Montag, 21. September 2020

Bald 60 - 5

 

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Es ist der 1. September 1997 und ich stehe in Mumbai, das damals noch Bombay hieß am Check-in-Schalter von Indian Airlines. Internationaler Flughafen. Den Inlandsflug aus Bangalore habe ich schon hinter mir, das obligatorische Kaffeetrinken auf der Terrasse des Holiday Inn am Juhu-beach mit Blick auf wichtige Geschäftsleute und das Meer in der Wartezeit auf den Langstrecken-Flug Richtung Heimat ebenfalls.

Ich bin ein bisschen müde und eigentlich nur auf die Routine der Abfertigung gerichtet, als plötzlich ALLE vier Airline-Mitarbeiter, die normalerweise hinter ihre Schalter gehören und Koffer entgegennehmen und Passagiere einchecken sollen, vor den Schalter zu mir kommen, mich umarmen und mir wortreich ihr Beileid aussprechen. Zwei von ihnen weinen.

Ich habe keinerlei Ahnung, wovon sie sprechen, warum sie tun, was sie tun und was das alles soll.

Ich war 4 Wochen in einem großen Ashram in einem kleinen Dorf. Und ich spreche hier vom Ende des vorigen Jahrhunderts. Zum Kontakthalten und zum Übermitteln von Fakten und Fragen für geschäftliche Entscheidungen hat mir der Gatte jeden Samstag, also 1x wöchentlich ein Fax in einen Laden im Dorf geschickt. Das habe ich dort abgeholt. In Ruhe gelesen, mit Bedacht beantwortet und war dann wieder eine Woche frei von der Außenwelt.

Mir wurde nur wirklich, wirklich Wichtiges übermittelt und die Fragen hielten sich absolut in Grenzen. An sich wäre es auch ganz ohne das, ganz ohne mich gegangen.

Ich weiß also nichts von den Geschehnissen in der Welt als ich dort am Flughafenschalter stehe und von kleinen indischen Männern umarmt werde.

„Sie war so eine gute Frau!“, „Du kannst so froh sein, dass sie eine von euch war“, „So tragisch“, „Sie hat uns so viel Gutes getan“… .

Es dauert ziemlich lange bis ich erfahre, was passiert ist.

Lady Di ist im Tunnel verunglückt. Am Tag zuvor. Die Männer trauern wirklich. Sie haben sie geliebt. Und weil sie Europäerin war und ich ebenfalls, glauben sie, ich müsste ebenso verzweifelt sein wie sie selbst.

Bin ich zunächst allerdings nicht. Nur erstaunt. Ich tröste die freundlichen indischen Herren, die ob der Tragik der Situation zum Glück nicht so genau auf das Gewicht meines Gepäcks achten, das hauptsächlich aus Ware für unseren Laden besteht.

Im Flugzeug sind der Tod, die Umstände und die guten Werke von Lady Di noch einige Zeit Thema. Bei Menschen unterschiedlicher Nationalitäten. Rund um den Globus.

Und doch hätte ich nicht gedacht, welche Dimensionen die Berichterstattung über ihren Tod und die Fernseh-Übertragung ihrer Trauerfeier letztlich annahmen. Ich hatte wirklich das Gefühl, die ganze Welt weint gleichzeitig. Als wären für einen Moment Schleusen aufgegangen und Tränen, die weltweit aus vielen verschiedenen Gründen längst einmal geweint werden wollten, fanden Ort und Zeit, sich ihren Weg zu bahnen.

Vielleicht wie damals, zirka acht Jahre vorher bei dem Untergang der zweiten Satzhälfte auf dem Balkon der Prager Botschaft oder in der Nacht auf der Berliner Mauer und später vor den Fernsehgeräten.  Mindestens europaweit. Menschen, die sich in den Armen liegen und Tränen, die laufen. Einfach laufen gelassen werden, egal wozu sie gehören und was sie vordergründig auszudrücken scheinen.

Befreiend ist das allemal. Vermutlich immer. Egal aus welchem Anlass und egal, wo auf der Welt.



1 Kommentar:

  1. oh jaaaaaaaaaa ich erinnere mich dass ich auch fessungslos und entsetzt war als ich es "hörte" auch weinte - die Umstände dieses so Unerwartete war ein Schock obwohl kein Mensch sie " persönlich kannte" - wie könnte man das auch/sondern sie nur als " Statistin in einer adligen Gesellschaft " auf dem Schirm miterlebte.

    Die Reaktionen unterschieden sich kaum, ich denke jeder war geschockt und entsetzt, auch heute noch wenn IHRE "Kinder auf dem Bildschirm" auftauchen und aus ihren Leben erzählt wird - ist sie noch immer - ein Thema.
    manche Menschen hinterlassen eben besondere Spuren bei anderen.
    Ich kann mir gut vorstellen wie erstaunt du damals warst so emotional von völlig fremden Menschen überfallen zu werden,
    eine Anekdote die es wert ist erzählt zu werden...
    davon gibt es sicher noch viele in deinem Leben...
    liebe Grüße in deinen Tag...

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