Sonntag, 20. September 2020

Bald 60 - 4

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Als sie hörte, dass ich einen kleinen Laden eröffnet hatte und dort auch Modeschmuck verkaufte, stand sie auf, ging zum Schrank, holte eine Pappschachtel heraus und stellte sie geöffnet vor mich auf den Tisch. „Guck mal, hier, die hab‘ ich noch. Da hab‘ ich ja gar keine Verwendung für. Kannst du auch verkaufen. Nimm mit.“. Drin waren zirka 15 Broschen. Alles Modeschmuck. Fast alle von mir gekauft und ihr zu den unterschiedlichen Festen, an denen man üblicherweise etwas schenken sollte, mitgebracht.

Die so sinnlos Beschenkte war eine meiner beiden Großmütter. Bei fast jedem Besuch sagte sie zur Begrüßung „ach, dass du auch noch mal kommst“ und bei der Verabschiedung äußerte sie stets die Vermutung, dass das wohl das letzte Mal war, dass wir uns sahen. Jahrzehntelang.

Sie lebte in zwei Zimmern im Haus ihrer Tochter, meiner Tante. Küche und Wohnzimmer. Sie brauchte wenig. Die anderen schenkten Ideekaffee, etwas anderes Verzehrbares  oder praktische Kleidung, wobei auch die manchmal zu viel war, weil die alte ja „noch ging“.

Sie war schwerhörig. Ich kannte sie nur mit oft pfeifendem Hörgerät, dass sie in Momenten, in denen sie sich unbeobachtet fühlte, zur Entspannung herausnahm.

Üblicherweise wurde sie angebrüllt. Denn oft verstand sie das, was man ihr sagte nicht beim ersten Mal. Manchmal auch nicht beim Fünften. Speziell die Nerven meiner Tante, die ja am allermeisten mit ihr zu tun hatte, waren enorm in Mitleidenschaft gezogen und an manchen Stellen einfach kaputt.

Die Tante hatte bis die Oma doch ins Heim ziehen musste, weil es wirklich nicht mehr ging, nur ganz wenige Jahre ohne sie gelebt. Gar nicht so einfach. Wahrscheinlich sogar für beide.

Samstags schaute sie im Fernsehen „Sehen statt hören“. Ich erinnere nicht mehr, was das Besondere an der Sendung war. Ob sie wohl Untertitel hatte? Wer weiß. Insgesamt lief der Fernseher, wenn er lief ohne Ton und die stündlich gongende Uhr störte nur uns Kinder, wenn wir bei ihr übernachteten.

Ab meiner Jugend habe ich sie wohl nicht oft besucht. Wahrscheinlich lag sie mit ihrer Einschätzung, dass ich ja viel zu selten komme, gar nicht mal so falsch. War doch immer so viel Wichtiges los in meinem Leben. Ganz anders als in ihrem.

Bis Mitte 70 hat sie noch in ihrer Küche an der Nähmaschine gesessen und Änderungen für eine Boutique gemacht. Einmal in der Woche brachte ihr der Ladenbesitzer die zu ändernde Kleidung und nahm sie beim nächsten Mal wieder mit. Wie solche Änderungen zu machen sind hat sie sich selbst beigebracht. Und bei jedem einzelnen Teil hatte sie Angst, was kaputt zu machen oder dass es nicht klappt.

Sie konnte gut nähen, sie war geübt und geduldig und doch hatte sie solchen Respekt. Als Kind und Jugendliche habe ich ihr oft zugesehen wenn sie an einer ihrer beiden Tretmaschinen saß, den Faden anleckte, bevor sie versuchte, ihn durch das Öhr zu bugsieren und wenn es geklappt hatte, ratternd los nähte.

Ich habe im Zuschauen viel gelernt. Habe aber, wie sie, immer noch Respekt vor jedem neuen Stück Stoff. Ich umrunde es, wie sie, erst mehrmals, bevor ich den ersten Schnitt mache.

Als Jugendliche und junge Frau habe ich mir auch schon vieles meiner Kleidung selbst genäht. Allerdings damals „Zackzack“. Stoff war billig, die Kleidung musste nicht lange halten und außerdem brauchte ich ja für die Schule und dann für den Job sowieso optisch immer wieder Neues.

Also habe ich mir die Mühe des Versäuberns oder gar Saum mit der Hand Umnähen so gut wie nie gemacht. Das hat sie manchmal heimlich kontrolliert. Wenn ich beim Kaffee neben ihr saß, hat sie, wenn sie dachte, ich merke es nicht, unten an den Rock gegriffen, den Saum umgedreht und wenn er, wie meistens mit der Maschine umgenäht war, leicht den Kopf geschüttelt.

Zu ihrer Beerdigung habe ich mir einen schwarzen Rock gemacht. Mit versäuberten Nähten und mit der Hand genähter unsichtbarer Saumnaht. Sie wäre wohl zufrieden gewesen.

 


1 Kommentar:

  1. bezaubernd, dieser letzte Satz, da steckt so viel Aussage darin, ich lächle....
    ja, das sind Bilder, die man nicht ganz aus dem Kopf bekommt wenn man zurück-denkt, sie sind verbacken mit dem eigenen Leben und merkwürdigerweise " holt man sie urplötzlich wieder heraus und sieht sie"!
    das ist schon fast ein Phänomen.
    liebe Brigitta, Anekdote, Gedankensplitter, Bildliches- daraus entstehen so viele schöne alte Geschichten, ich mag sie sehr weil ich selbst ähnliche im Köpfchen habe und schreibe...
    sehe aber kaum, dass sie außer mir - einer liest, "lacht"...in unserer so schnelllebigen Zeit wo keiner mehr Muße hat und ständig unterwegs zu sein scheint.
    ich freue mich wenn ich sie bei dir entdecke...
    und lese mit Genuß...
    herzlichst angelface

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