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Als sie hörte, dass ich einen kleinen
Laden eröffnet hatte und dort auch Modeschmuck verkaufte, stand sie auf, ging
zum Schrank, holte eine Pappschachtel heraus und stellte sie geöffnet vor mich
auf den Tisch. „Guck mal, hier, die hab‘ ich noch. Da hab‘ ich ja gar keine
Verwendung für. Kannst du auch verkaufen. Nimm mit.“. Drin waren zirka 15
Broschen. Alles Modeschmuck. Fast alle von mir gekauft und ihr zu den
unterschiedlichen Festen, an denen man üblicherweise etwas schenken sollte, mitgebracht.
Die so sinnlos Beschenkte war eine
meiner beiden Großmütter. Bei fast jedem Besuch sagte sie zur Begrüßung „ach,
dass du auch noch mal kommst“ und bei der Verabschiedung äußerte sie stets die
Vermutung, dass das wohl das letzte Mal war, dass wir uns sahen.
Jahrzehntelang.
Sie lebte in zwei Zimmern im Haus
ihrer Tochter, meiner Tante. Küche und Wohnzimmer. Sie brauchte wenig. Die
anderen schenkten Ideekaffee, etwas anderes Verzehrbares oder praktische Kleidung, wobei auch die
manchmal zu viel war, weil die alte ja „noch ging“.
Sie war schwerhörig. Ich kannte sie
nur mit oft pfeifendem Hörgerät, dass sie in Momenten, in denen sie sich
unbeobachtet fühlte, zur Entspannung herausnahm.
Üblicherweise wurde sie angebrüllt.
Denn oft verstand sie das, was man ihr sagte nicht beim ersten Mal. Manchmal
auch nicht beim Fünften. Speziell die Nerven meiner Tante, die ja am allermeisten
mit ihr zu tun hatte, waren enorm in Mitleidenschaft gezogen und an manchen
Stellen einfach kaputt.
Die Tante hatte bis die Oma doch ins
Heim ziehen musste, weil es wirklich nicht mehr ging, nur ganz wenige Jahre
ohne sie gelebt. Gar nicht so einfach. Wahrscheinlich sogar für beide.
Samstags schaute sie im Fernsehen „Sehen
statt hören“. Ich erinnere nicht mehr, was das Besondere an der Sendung war. Ob
sie wohl Untertitel hatte? Wer weiß. Insgesamt lief der Fernseher, wenn er lief
ohne Ton und die stündlich gongende Uhr störte nur uns Kinder, wenn wir bei ihr
übernachteten.
Ab meiner Jugend habe ich sie wohl
nicht oft besucht. Wahrscheinlich lag sie mit ihrer Einschätzung, dass ich ja
viel zu selten komme, gar nicht mal so falsch. War doch immer so viel Wichtiges
los in meinem Leben. Ganz anders als in ihrem.
Bis Mitte 70 hat sie noch in ihrer
Küche an der Nähmaschine gesessen und Änderungen für eine Boutique gemacht.
Einmal in der Woche brachte ihr der Ladenbesitzer die zu ändernde Kleidung und
nahm sie beim nächsten Mal wieder mit. Wie solche Änderungen zu machen sind hat
sie sich selbst beigebracht. Und bei jedem einzelnen Teil hatte sie Angst, was
kaputt zu machen oder dass es nicht klappt.
Sie konnte gut nähen, sie war geübt
und geduldig und doch hatte sie solchen Respekt. Als Kind und Jugendliche habe
ich ihr oft zugesehen wenn sie an einer ihrer beiden Tretmaschinen saß, den
Faden anleckte, bevor sie versuchte, ihn durch das Öhr zu bugsieren und wenn es
geklappt hatte, ratternd los nähte.
Ich habe im Zuschauen viel gelernt.
Habe aber, wie sie, immer noch Respekt vor jedem neuen Stück Stoff. Ich umrunde
es, wie sie, erst mehrmals, bevor ich den ersten Schnitt mache.
Als Jugendliche und junge Frau habe
ich mir auch schon vieles meiner Kleidung selbst genäht. Allerdings damals „Zackzack“.
Stoff war billig, die Kleidung musste nicht lange halten und außerdem brauchte
ich ja für die Schule und dann für den Job sowieso optisch immer wieder Neues.
Also habe ich mir die Mühe des
Versäuberns oder gar Saum mit der Hand Umnähen so gut wie nie gemacht. Das hat
sie manchmal heimlich kontrolliert. Wenn ich beim Kaffee neben ihr saß, hat
sie, wenn sie dachte, ich merke es nicht, unten an den Rock gegriffen, den Saum
umgedreht und wenn er, wie meistens mit der Maschine umgenäht war, leicht den
Kopf geschüttelt.
Zu ihrer Beerdigung habe ich mir einen
schwarzen Rock gemacht. Mit versäuberten Nähten und mit der Hand genähter
unsichtbarer Saumnaht. Sie wäre wohl zufrieden gewesen.
bezaubernd, dieser letzte Satz, da steckt so viel Aussage darin, ich lächle....
AntwortenLöschenja, das sind Bilder, die man nicht ganz aus dem Kopf bekommt wenn man zurück-denkt, sie sind verbacken mit dem eigenen Leben und merkwürdigerweise " holt man sie urplötzlich wieder heraus und sieht sie"!
das ist schon fast ein Phänomen.
liebe Brigitta, Anekdote, Gedankensplitter, Bildliches- daraus entstehen so viele schöne alte Geschichten, ich mag sie sehr weil ich selbst ähnliche im Köpfchen habe und schreibe...
sehe aber kaum, dass sie außer mir - einer liest, "lacht"...in unserer so schnelllebigen Zeit wo keiner mehr Muße hat und ständig unterwegs zu sein scheint.
ich freue mich wenn ich sie bei dir entdecke...
und lese mit Genuß...
herzlichst angelface