Sonntag, 13. Dezember 2020

Bald 60 - 48

Als wir die Füße noch täglich unter den elterlichen Tisch stellten, bzw. in meinem Fall im Schneidersitz auf dem Stuhl an eben diesem Tisch saßen, sollten wir in der Woche vor Weihnachten unsere Zimmer in der Weise gründlich aufräumen, dass wir Platz schaffen für die Geschenke, die in großer Zahl am Heiligabend in unseren Besitz übergehen würden.


Oft wurden wir schon im Oktober gefragt, was wir uns wünschten. Mich hat das schon als Jugendliche überfordert, weil es ja nicht um die aktuellen Wünsche ging, sondern um die, in meinen Augen, ferne Zukunft. Was wusste ich denn, was ich im Dezember gerne haben möchte.

Aber so ging das Ritual halt. Also habe ich mir etwas gewünscht. Meistens fand ich dann auch genau das oder im schlimmsten Fall etwas Ähnliches am Heiligen Abend auf meiner Seite des Sofas.

Meine Schwester und ich wurden, wie es hieß, immer genau gleich und gerecht behandelt. Das führte dazu, dass, wenn die Geschenke für die eine etwas teurer waren als die der anderen, die andere sich noch etwas dazu wünschen sollte. Manchmal hat sich das enorm hochgeschaukelt.

Wir wohnten zu sechst im Haus. Die Großeltern, Eltern und wir Mädchen.
Als der Opa noch lebte habe ich jedes Jahr kurz vor dem 24. die Texte von Weihnachtsliedern auf der Schreibmaschine meines Vaters mithilfe von Kohlepapier in vierfacher Ausfertigung getippt.
Auch so ein Ritual. Die wurden dann am Heiligen Abend verteilt, damit die Erwachsenen zur Flöterei von uns zwei Mädchen singen konnten.
Offenbar wurden die Zettel danach vernichtet. Jedenfalls erinnere ich, dass ich sie einige Jahre hintereinander jeweils neu hergestellt habe.

Nachmittags gingen wir Mädchen und die Großeltern in die Kinderchristmette, in der wir, in der einen oder anderen Weise, auch offiziell engagiert waren. Dann gab es Abendessen und danach dann die Bescherung.

Alle betreten das Wohnzimmer, die Lichterkette am Baum wird eingeschaltet, alle packen die Geschenke aus, die Großmutter guckt sich an, was für sie besorgt wurde und gibt es, wenn es nichts zum Verzehren ist, wieder zurück. Manch einer ist überrascht, andere erfreut.
Auf dem Tisch stehen mindestens drei Pappteller mit Weihnachtsmotiven, die mit einer überlappenden Serviette ausgeschlagen und prall mit selbstgebackenen Plätzchen und gekauften Schokoladen gefüllt sind.

Dann wird gesungen und schon bald ist es Zeit sich für den erneuten Kirchgang zurecht zu machen. Diesmal mit den Eltern und viel festlicher.

Diese abendliche Christmette dauerte oft sehr lange und man musste früh dort sein, um einen Platz zu bekommen, sofern man nicht, wie ich später am Altar als „Vorbeterin“ stand, weil die Kirche zu diesem Termin meist sehr überfüllt war.

Am späten Abend standen wir dann oft noch lange in großen Gruppen vor der Kirche, zeigten uns mit all dem neu Erhaltenen, wünschten uns frohe Weihnachten und erzählten uns gegenseitig was wir noch so alles bekommen haben und was wir nicht zum Zeigen dabeihaben konnten.

Während ich das schreibe sehe ich mich in meiner neuen Kaninchenfelljacke, die ich wirklich haben wollte und über die ich mich sehr gefreut habe, dort auf dem Kirchvorplatz stehen und meine zu erinnern, dass das einer dieser Abende war, die eigentlich nicht kalt genug für eine solch warme Jacke waren.
Und darüber hinaus hatte ich über den Zusammenhang von vielen getöteten Kaninchen und dieser Jacke damals überhaupt keinen blassen Schimmer. Ich Dummerle, ich.

Später habe ich aushilfsmäßig auf Weihnachtsmärkten und dann beruflich, angestellt und selbständig, im Einzelhandel gearbeitet und weiß seitdem, dass Weihnachten ein Geschäft ist. Auch ein Geschäft ist. Hoffentlich ein Geschäft ist. Je nach Perspektive.

Ich hatte viele Jahre mit Menschen zu tun, die Angst hatten, das Falsche zu schenken, solchen, die eigentlich nicht genug Geld hatten, um die Ansprüche der zu Beschenkenden zu erfüllen, anderen, die hohe Beträge auf den Tisch legten und dafür irgendetwas eingepackt haben wollten, das nach was aussah und so weiter.

Ich selbst war in diesen Jahren am Heiligabend meistens fix und fertig. Von den anstrengenden Arbeitstagen und von der Anspannung, die die Frage begleitet, ob der Umsatz für alle Kosten genügend hoch genug würde.
Weihnachten war das eingeplante notwendige möglichst gute Geschäft des Jahres.

Es hat gedauert, bis ich mich um die echte Bedeutung der Weihnachtsgeschichte bemüht habe.
Es hat gedauert, bis mich wirklich interessiert hat, wer dieser Jesus war, dessen Geburt man auf den 24. Dezember datiert hat.
Es hat gedauert bis Liebe und Wahrheit, in zum Beispiel dieser Gestalt, Bedeutung in meinem Leben bekommen hat.

Als es dann soweit war, empfand ich genau das als echtes Geschenk, das ich wirklich haben wollte und vielleicht wirklich frühestens dann bekommen konnte, als ich begonnen hatte, nicht nur mein Zimmer aufzuräumen.



2 Kommentare:

  1. eine mich sehr nachdenklich machende Erzählung liebe Britta, fast unglücksselig möchte ich es nennen dass deine Kinder und Jugendzeit so von dem Gedanken an Geschenke geprägt wurde und diese so in den Vordergrund gerückt wurden und nicht das eigentliche Geschehen zur weihnachtszeit mit all seiner eigentlichen Bedeutung Platz bekam.
    doch das leben einem die Eltern vor, übertragen dies auf die Kinder ähnlich zu denken.
    Wer viel hat gibt ab und schenkt uneigennützig gerne um einem anderen eine Freude zu bereiten war der Wahlspruch und das Handeln in meiner Kinderzeit zuhause und ich bin froh darüber nicht unter diesem Druck schenken zu müssen, zu stehen.
    Auch heute noch.
    der Baum und die Lichter sind wichtig die Zufriedenheit und das Glücksgefühl gesund am Leben zu sein, da ward im Gegenzug jedes Geschenk überflüssig und sollte ja eigentich nur eine Geste des friedlichen Zusammenlebens sein.
    Freude und Aufmerksamkeit schenken ist heute noch meine Motivation das Fest zu feiern.
    ich wünsche dir ein frohes Fest und gute Gesundheit;
    herzlichst angelface
    aber es war interessant zu lesen wie es doch in manch anderen Familien zugeht, weil sie es anders nicht kennen.
    Ein Glück, dass dir der Sinn einer echten Weihnacht noch im Leben geschenkt wurde und du sie kennen lernen durftest.

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    1. Deine Erinnerungen und die verbliebene Einstellung zum Fest klingt friedlich und schön. Das freut mich. Herzlichen Dank dir fürs Lesen, kommentieren und bereichern.
      Lieben Gruß

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