Dienstag, 15. Dezember 2020

Bald 60 - 50

Frei nach dem Motto „was kümmert mich, in sich verändernden Zeiten, mein Geschwätz von gestern“, beziehungsweise: klug ist, wenn ich so handle, wie es sich jetzt richtig anfühlt, vermelde ich nun das Folgende.


Heute habe ich mir den Tag ziemlich versaut, weil ich dauernd nach der Idee gesucht habe, die mir andeutet, was ich als Nr. 50 schreiben werde.

So habe ich das bisher nämlich gemacht, so hat es bisher geklappt und so habe ich mich selbst oft überrascht. Über Tag die Idee erwarten und diese dann am Abend ausformulieren.

Heute wollte einfach nichts kommen. Während es gestern und vorgestern auch schon schleppend und in meinen Augen schon ein bisschen zu inspiriert von den aktuellen Ereignissen war, kam heute einfach nichts.

Was mich gerade bewegt sind die akuten Geschehnisse in der Welt. Doch darüber möchte ich nicht schreiben, weil ich finde, dass dazu schon genügend Meinungen in der Welt sind.

Mein Mitgefühl gilt allen, die direkt oder indirekt, gesundheitlich oder anders, existentiell oder vorübergehend, von den Ereignissen und verordneten Maßnahmen betroffen sind.

Mich betrifft es nicht wirklich. Ich habe keine Kinder, keine Enkelinder, muss nirgendwo den ganzen Tag mit Maske arbeiten, muss überhaupt nirgendwo arbeiten oder hin. Wir leben von der Rente des Gatten und die wird es ja vermutlich noch eine Zeitlang geben.

Meinen geplanten Februar auf Mallorca habe ich schon vor einiger Zeit storniert, Mallorca wird die Zeit ohne mich verschmerzen und ich bin froh, dass ich den letzten Februar dort wirklich ausgekostet und genossen habe.

Ich habe Zeit und Gelegenheit, mich innerlich aufzuräumen und vom äußeren Wahnsinn abzugrenzen.

Vermutlich soll alles genau so sein wie es ist, denn sonst wäre es ja anders.
Dann ist es also meine Aufgabe, damit einverstanden zu sein oder zu werden, solange es ist wie es ist. Und danach heißt es, flexibel das zu begrüßen, was dann ist.

Dafür werde ich das tun, was ja gerade auch staatlich verordnet wird. Ich ziehe mich zurück und kümmere mich um den Frieden und die Gesundheit in mir.

Diese Geschichtenschreiberei habe ich irgendwie automatisch angefangen und auf dem Blog mit „Bald 60“ und der jeweiligen Textnummer tituliert.
Gedacht hatte ich es dann als Vorbereitung auf meinen 60. Geburtstag am 2. März nächsten Jahres.
Mit dieser Überschrift sieht es allerdings so aus als sammele ich Texte bis zur Nummer 60. Wer weiß, was daraus wird.

Mich hat eure Begleitung bis hierher gefreut.

Ich verabschiede mich mal bis nächstes Jahr und melde mich wieder, wenn ich das Gefühl habe, dass es wieder passt. Vermutlich wird es Februar.

Gehabt euch wohl, lasst es euch so gut wie möglich gehen, verliert nicht die Freude und Zuversicht, egal was ist oder erzählt wird.

Und so kann es dann kommen. Ich wollte eine kurze Info schreiben, dass es Text Nr. 50 erstmal nicht geben wird und so ist dann Text Nr. 50 entstanden.

In diesem Sinne sage ich also „bis die Tage“ … lassen wir uns überraschen. Auch davon.



Montag, 14. Dezember 2020

Bald 60 - 49

Das Arbeiten oder besser gesagt, das schnelle Erfassen dessen, worauf es in bestimmten Berufen und Berufsfeldern ankommt, habe ich unter anderem in meinen Zwanzigern gelernt als ich ein paar Jahre lang ganz unterschiedliche Aushilfsjobs für jeweils eher kurze Zeiträume angenommen habe.

Erstens gab es selten aufwändige Einführungen, in das, was zu tun war und zweitens sind langjährige Mitarbeiter, die sich naturgemäß gut in der jeweiligen Firma auskennen, froh über jemanden, der ihnen interessiert zuhört und bei dem sie nicht vorsichtig sein müssen, mit dem, was sie erzählen, weil er oder sie keine Konkurrenz oder besonders ernst zu nehmen ist.

 

Aushilfen werden genauso wahrgenommen und so ist das die beste Position, um einiges über Firmen, Firmenstrukturen, Menschentypen und konkrete Arbeiten, Arbeitsauffassungen und Arbeitsabläufe zu lernen.

 

Bei der Stadtsparkasse habe ich noch als Festangestellte in der Abteilung Dokumentation unter anderem oft die Aufgabe einer überforderten Kollegin übernommen.

Sie war als Halbtagskraft dafür zuständig den Pressespiegel für die Vorstandsmitglieder und leitenden Angestellten im Haus und den Geschäftsstellen zu KLEBEN!, zu fotokopieren und anschließend im Haus zu verteilen.

 

Mitte der 80er Jahre. Die beiden studierten Kollegen haben morgens etwa 15 Tageszeitungen quergelesen und angestrichen, was ausgeschnitten und aufgeklebt werden sollte. Die weiteren Ausführungen habe ich gerne übernommen.

Erstens hatte ich am Fotokopierer trotz konzentrierten schnellen Arbeitens meine Ruhe und zweitens konnte ich anschließend treppauf treppab durchs Haus marschieren und vor allem jede Menge Neuigkeiten aus den Vorzimmern der Vorstandsmitglieder aufschnappen, beobachten, bzw. erzählt bekommen.

Wissen und Kenntnisse, die sich summieren.

 

Kurze Zeit später habe ich einige Zeit im Nachtdienst im technischen Zentrum des gleichen Unternehmens gearbeitet. Die Aufgabe dort war das Beisortieren von Anlagen zu Kontoauszügen. Per Hand. Eine wirklich schöne Arbeit. Beginn war um 20 Uhr und fertig waren wir meistens kurz nach Mitternacht.

 

Dort arbeiteten hauptsächlich Mütter, deren Männer abends von der Arbeit heimkamen, die Kinder übernahmen und ins Bett brachten. Morgens zum Wecken und den ganzen übrigen Tag waren sie selbst ja wieder zu Hause.

 

Eine eingespielte Abteilung mit strenger zielgerichteter freundlicher Führung. Die Arbeit ging allen, auch mir nach kurzer Zeit, bereits so leicht von der Hand, dass wir, während die Augen und Hände sortierten, die Münder und Ohren gut und interessant beschäftigt hielten.

 

Da wir alles Frauen waren und all das noch im letzten Jahrhundert stattfand, wurden wir nachts mit Sammeltaxen nach Hause gefahren. Welch ein Service. Damals.

 

Apropos Frauen. Vermutlich im ähnlichen Zeitraum hatte ich einen kurzen Job im Frauenarchiv, das der, Ende der Siebziger Jahre von Alice Schwarzer gegründeten, Zeitschrift EMMA angegliedert war.

 

Während der PorNO-Kampagne der EMMA, in der angeprangert wurde, dass Frauen zunehmend erotisch und/oder fast nackt in den gängigen Zeitschriften und Werbungen dieser Zeit abgebildet wurden, suchten sie eine Aushilfe, die genau diese Abbildungen aus den Zeitschriften für das Archiv fotokopierte.

Damit war ich viele Tage beschäftigt und amüsiere mich noch heute darüber, dass sie so viel Akribie an den Tag legten, im Dunstkreis der erbitterten Kampagne, die speziellen Bilder einzeln herauszusuchen, statt einfach die entsprechenden Zeitschriften in Schober zu packen und abzustellen.

 

Viele Monate habe ich fast täglich in einer Frittenbude gearbeitet, in der sich die Festangestellten nicht einmal einen Arztbesuch erlauben konnten, ohne gekündigt zu werden.

 

Ein Arbeitsklima der Angst. Schon damals. Menschen, die, ungelernt auf diese Arbeit, beziehungsweise das daraus resultierende Geld, angewiesen waren, hart arbeiteten und sich doch oder gerade deshalb manch kleine Unregelmäßigkeit oder Liederlichkeit erlaubten, die, so sie denn auffielen, sofort ohne langes Zögern zu fristlosen Kündigungen führen konnten.

 

In manch einem Fall konnte ich helfen, weil ich mich, nicht sehr angewiesen auf genau diesen Job, unerschrocken für manch eine Kollegin einsetzen konnte. Oft war aber auch das vergeblich und mir wurde manchmal, trotz guter Arbeit meinerseits, angedeutet, dass sie es, wenn es mir dort nicht gefiele, gerne versuchen wollten, ohne mich zurecht zu kommen.

 

Diesen Job mochten meine WG-Mitbewohner allerdings besonders, weil ich allabendlich einige der übrig gebliebenen wunderbar belegten Baguettes und Brötchen mit nach Hause brachte. Die hätten wir eigentlich wegschmeißen müssen. Habe ich einfach nicht gemacht.

 

Aufgehört habe ich dann eines Tages von selbst dort, weil die Schikanen und Drangsalierungen vom Chef immer skurriler, ungerechter und unvorhersehbarer wurden.

 

Ich habe so manchen Laden von innen gesehen, jede Menge verschiedener Cheftypen, Führungsstile, Kollegen, Arbeitseinstellungen, Betriebsklimas und Hierarchien erlebt, beobachtet und viel gelernt. Über Menschen, Gruppen, Firmen, Erfolg und über mich.

 

Ich mag es heute noch sehr, betriebsinterne Abläufe zu sehen. Mitarbeitend, davon hörend oder einfach nur beobachtend.

Am Liebsten natürlich solche, in denen Menschen wie sie sind wertgeschätzt werden und das Klima fein ist. Am Liebsten natürlich solche. Wenn möglich.




Sonntag, 13. Dezember 2020

Bald 60 - 48

Als wir die Füße noch täglich unter den elterlichen Tisch stellten, bzw. in meinem Fall im Schneidersitz auf dem Stuhl an eben diesem Tisch saßen, sollten wir in der Woche vor Weihnachten unsere Zimmer in der Weise gründlich aufräumen, dass wir Platz schaffen für die Geschenke, die in großer Zahl am Heiligabend in unseren Besitz übergehen würden.


Oft wurden wir schon im Oktober gefragt, was wir uns wünschten. Mich hat das schon als Jugendliche überfordert, weil es ja nicht um die aktuellen Wünsche ging, sondern um die, in meinen Augen, ferne Zukunft. Was wusste ich denn, was ich im Dezember gerne haben möchte.

Aber so ging das Ritual halt. Also habe ich mir etwas gewünscht. Meistens fand ich dann auch genau das oder im schlimmsten Fall etwas Ähnliches am Heiligen Abend auf meiner Seite des Sofas.

Meine Schwester und ich wurden, wie es hieß, immer genau gleich und gerecht behandelt. Das führte dazu, dass, wenn die Geschenke für die eine etwas teurer waren als die der anderen, die andere sich noch etwas dazu wünschen sollte. Manchmal hat sich das enorm hochgeschaukelt.

Wir wohnten zu sechst im Haus. Die Großeltern, Eltern und wir Mädchen.
Als der Opa noch lebte habe ich jedes Jahr kurz vor dem 24. die Texte von Weihnachtsliedern auf der Schreibmaschine meines Vaters mithilfe von Kohlepapier in vierfacher Ausfertigung getippt.
Auch so ein Ritual. Die wurden dann am Heiligen Abend verteilt, damit die Erwachsenen zur Flöterei von uns zwei Mädchen singen konnten.
Offenbar wurden die Zettel danach vernichtet. Jedenfalls erinnere ich, dass ich sie einige Jahre hintereinander jeweils neu hergestellt habe.

Nachmittags gingen wir Mädchen und die Großeltern in die Kinderchristmette, in der wir, in der einen oder anderen Weise, auch offiziell engagiert waren. Dann gab es Abendessen und danach dann die Bescherung.

Alle betreten das Wohnzimmer, die Lichterkette am Baum wird eingeschaltet, alle packen die Geschenke aus, die Großmutter guckt sich an, was für sie besorgt wurde und gibt es, wenn es nichts zum Verzehren ist, wieder zurück. Manch einer ist überrascht, andere erfreut.
Auf dem Tisch stehen mindestens drei Pappteller mit Weihnachtsmotiven, die mit einer überlappenden Serviette ausgeschlagen und prall mit selbstgebackenen Plätzchen und gekauften Schokoladen gefüllt sind.

Dann wird gesungen und schon bald ist es Zeit sich für den erneuten Kirchgang zurecht zu machen. Diesmal mit den Eltern und viel festlicher.

Diese abendliche Christmette dauerte oft sehr lange und man musste früh dort sein, um einen Platz zu bekommen, sofern man nicht, wie ich später am Altar als „Vorbeterin“ stand, weil die Kirche zu diesem Termin meist sehr überfüllt war.

Am späten Abend standen wir dann oft noch lange in großen Gruppen vor der Kirche, zeigten uns mit all dem neu Erhaltenen, wünschten uns frohe Weihnachten und erzählten uns gegenseitig was wir noch so alles bekommen haben und was wir nicht zum Zeigen dabeihaben konnten.

Während ich das schreibe sehe ich mich in meiner neuen Kaninchenfelljacke, die ich wirklich haben wollte und über die ich mich sehr gefreut habe, dort auf dem Kirchvorplatz stehen und meine zu erinnern, dass das einer dieser Abende war, die eigentlich nicht kalt genug für eine solch warme Jacke waren.
Und darüber hinaus hatte ich über den Zusammenhang von vielen getöteten Kaninchen und dieser Jacke damals überhaupt keinen blassen Schimmer. Ich Dummerle, ich.

Später habe ich aushilfsmäßig auf Weihnachtsmärkten und dann beruflich, angestellt und selbständig, im Einzelhandel gearbeitet und weiß seitdem, dass Weihnachten ein Geschäft ist. Auch ein Geschäft ist. Hoffentlich ein Geschäft ist. Je nach Perspektive.

Ich hatte viele Jahre mit Menschen zu tun, die Angst hatten, das Falsche zu schenken, solchen, die eigentlich nicht genug Geld hatten, um die Ansprüche der zu Beschenkenden zu erfüllen, anderen, die hohe Beträge auf den Tisch legten und dafür irgendetwas eingepackt haben wollten, das nach was aussah und so weiter.

Ich selbst war in diesen Jahren am Heiligabend meistens fix und fertig. Von den anstrengenden Arbeitstagen und von der Anspannung, die die Frage begleitet, ob der Umsatz für alle Kosten genügend hoch genug würde.
Weihnachten war das eingeplante notwendige möglichst gute Geschäft des Jahres.

Es hat gedauert, bis ich mich um die echte Bedeutung der Weihnachtsgeschichte bemüht habe.
Es hat gedauert, bis mich wirklich interessiert hat, wer dieser Jesus war, dessen Geburt man auf den 24. Dezember datiert hat.
Es hat gedauert bis Liebe und Wahrheit, in zum Beispiel dieser Gestalt, Bedeutung in meinem Leben bekommen hat.

Als es dann soweit war, empfand ich genau das als echtes Geschenk, das ich wirklich haben wollte und vielleicht wirklich frühestens dann bekommen konnte, als ich begonnen hatte, nicht nur mein Zimmer aufzuräumen.