Dienstag, 15. Dezember 2020

Bald 60 - 50

Frei nach dem Motto „was kümmert mich, in sich verändernden Zeiten, mein Geschwätz von gestern“, beziehungsweise: klug ist, wenn ich so handle, wie es sich jetzt richtig anfühlt, vermelde ich nun das Folgende.


Heute habe ich mir den Tag ziemlich versaut, weil ich dauernd nach der Idee gesucht habe, die mir andeutet, was ich als Nr. 50 schreiben werde.

So habe ich das bisher nämlich gemacht, so hat es bisher geklappt und so habe ich mich selbst oft überrascht. Über Tag die Idee erwarten und diese dann am Abend ausformulieren.

Heute wollte einfach nichts kommen. Während es gestern und vorgestern auch schon schleppend und in meinen Augen schon ein bisschen zu inspiriert von den aktuellen Ereignissen war, kam heute einfach nichts.

Was mich gerade bewegt sind die akuten Geschehnisse in der Welt. Doch darüber möchte ich nicht schreiben, weil ich finde, dass dazu schon genügend Meinungen in der Welt sind.

Mein Mitgefühl gilt allen, die direkt oder indirekt, gesundheitlich oder anders, existentiell oder vorübergehend, von den Ereignissen und verordneten Maßnahmen betroffen sind.

Mich betrifft es nicht wirklich. Ich habe keine Kinder, keine Enkelinder, muss nirgendwo den ganzen Tag mit Maske arbeiten, muss überhaupt nirgendwo arbeiten oder hin. Wir leben von der Rente des Gatten und die wird es ja vermutlich noch eine Zeitlang geben.

Meinen geplanten Februar auf Mallorca habe ich schon vor einiger Zeit storniert, Mallorca wird die Zeit ohne mich verschmerzen und ich bin froh, dass ich den letzten Februar dort wirklich ausgekostet und genossen habe.

Ich habe Zeit und Gelegenheit, mich innerlich aufzuräumen und vom äußeren Wahnsinn abzugrenzen.

Vermutlich soll alles genau so sein wie es ist, denn sonst wäre es ja anders.
Dann ist es also meine Aufgabe, damit einverstanden zu sein oder zu werden, solange es ist wie es ist. Und danach heißt es, flexibel das zu begrüßen, was dann ist.

Dafür werde ich das tun, was ja gerade auch staatlich verordnet wird. Ich ziehe mich zurück und kümmere mich um den Frieden und die Gesundheit in mir.

Diese Geschichtenschreiberei habe ich irgendwie automatisch angefangen und auf dem Blog mit „Bald 60“ und der jeweiligen Textnummer tituliert.
Gedacht hatte ich es dann als Vorbereitung auf meinen 60. Geburtstag am 2. März nächsten Jahres.
Mit dieser Überschrift sieht es allerdings so aus als sammele ich Texte bis zur Nummer 60. Wer weiß, was daraus wird.

Mich hat eure Begleitung bis hierher gefreut.

Ich verabschiede mich mal bis nächstes Jahr und melde mich wieder, wenn ich das Gefühl habe, dass es wieder passt. Vermutlich wird es Februar.

Gehabt euch wohl, lasst es euch so gut wie möglich gehen, verliert nicht die Freude und Zuversicht, egal was ist oder erzählt wird.

Und so kann es dann kommen. Ich wollte eine kurze Info schreiben, dass es Text Nr. 50 erstmal nicht geben wird und so ist dann Text Nr. 50 entstanden.

In diesem Sinne sage ich also „bis die Tage“ … lassen wir uns überraschen. Auch davon.



Montag, 14. Dezember 2020

Bald 60 - 49

Das Arbeiten oder besser gesagt, das schnelle Erfassen dessen, worauf es in bestimmten Berufen und Berufsfeldern ankommt, habe ich unter anderem in meinen Zwanzigern gelernt als ich ein paar Jahre lang ganz unterschiedliche Aushilfsjobs für jeweils eher kurze Zeiträume angenommen habe.

Erstens gab es selten aufwändige Einführungen, in das, was zu tun war und zweitens sind langjährige Mitarbeiter, die sich naturgemäß gut in der jeweiligen Firma auskennen, froh über jemanden, der ihnen interessiert zuhört und bei dem sie nicht vorsichtig sein müssen, mit dem, was sie erzählen, weil er oder sie keine Konkurrenz oder besonders ernst zu nehmen ist.

 

Aushilfen werden genauso wahrgenommen und so ist das die beste Position, um einiges über Firmen, Firmenstrukturen, Menschentypen und konkrete Arbeiten, Arbeitsauffassungen und Arbeitsabläufe zu lernen.

 

Bei der Stadtsparkasse habe ich noch als Festangestellte in der Abteilung Dokumentation unter anderem oft die Aufgabe einer überforderten Kollegin übernommen.

Sie war als Halbtagskraft dafür zuständig den Pressespiegel für die Vorstandsmitglieder und leitenden Angestellten im Haus und den Geschäftsstellen zu KLEBEN!, zu fotokopieren und anschließend im Haus zu verteilen.

 

Mitte der 80er Jahre. Die beiden studierten Kollegen haben morgens etwa 15 Tageszeitungen quergelesen und angestrichen, was ausgeschnitten und aufgeklebt werden sollte. Die weiteren Ausführungen habe ich gerne übernommen.

Erstens hatte ich am Fotokopierer trotz konzentrierten schnellen Arbeitens meine Ruhe und zweitens konnte ich anschließend treppauf treppab durchs Haus marschieren und vor allem jede Menge Neuigkeiten aus den Vorzimmern der Vorstandsmitglieder aufschnappen, beobachten, bzw. erzählt bekommen.

Wissen und Kenntnisse, die sich summieren.

 

Kurze Zeit später habe ich einige Zeit im Nachtdienst im technischen Zentrum des gleichen Unternehmens gearbeitet. Die Aufgabe dort war das Beisortieren von Anlagen zu Kontoauszügen. Per Hand. Eine wirklich schöne Arbeit. Beginn war um 20 Uhr und fertig waren wir meistens kurz nach Mitternacht.

 

Dort arbeiteten hauptsächlich Mütter, deren Männer abends von der Arbeit heimkamen, die Kinder übernahmen und ins Bett brachten. Morgens zum Wecken und den ganzen übrigen Tag waren sie selbst ja wieder zu Hause.

 

Eine eingespielte Abteilung mit strenger zielgerichteter freundlicher Führung. Die Arbeit ging allen, auch mir nach kurzer Zeit, bereits so leicht von der Hand, dass wir, während die Augen und Hände sortierten, die Münder und Ohren gut und interessant beschäftigt hielten.

 

Da wir alles Frauen waren und all das noch im letzten Jahrhundert stattfand, wurden wir nachts mit Sammeltaxen nach Hause gefahren. Welch ein Service. Damals.

 

Apropos Frauen. Vermutlich im ähnlichen Zeitraum hatte ich einen kurzen Job im Frauenarchiv, das der, Ende der Siebziger Jahre von Alice Schwarzer gegründeten, Zeitschrift EMMA angegliedert war.

 

Während der PorNO-Kampagne der EMMA, in der angeprangert wurde, dass Frauen zunehmend erotisch und/oder fast nackt in den gängigen Zeitschriften und Werbungen dieser Zeit abgebildet wurden, suchten sie eine Aushilfe, die genau diese Abbildungen aus den Zeitschriften für das Archiv fotokopierte.

Damit war ich viele Tage beschäftigt und amüsiere mich noch heute darüber, dass sie so viel Akribie an den Tag legten, im Dunstkreis der erbitterten Kampagne, die speziellen Bilder einzeln herauszusuchen, statt einfach die entsprechenden Zeitschriften in Schober zu packen und abzustellen.

 

Viele Monate habe ich fast täglich in einer Frittenbude gearbeitet, in der sich die Festangestellten nicht einmal einen Arztbesuch erlauben konnten, ohne gekündigt zu werden.

 

Ein Arbeitsklima der Angst. Schon damals. Menschen, die, ungelernt auf diese Arbeit, beziehungsweise das daraus resultierende Geld, angewiesen waren, hart arbeiteten und sich doch oder gerade deshalb manch kleine Unregelmäßigkeit oder Liederlichkeit erlaubten, die, so sie denn auffielen, sofort ohne langes Zögern zu fristlosen Kündigungen führen konnten.

 

In manch einem Fall konnte ich helfen, weil ich mich, nicht sehr angewiesen auf genau diesen Job, unerschrocken für manch eine Kollegin einsetzen konnte. Oft war aber auch das vergeblich und mir wurde manchmal, trotz guter Arbeit meinerseits, angedeutet, dass sie es, wenn es mir dort nicht gefiele, gerne versuchen wollten, ohne mich zurecht zu kommen.

 

Diesen Job mochten meine WG-Mitbewohner allerdings besonders, weil ich allabendlich einige der übrig gebliebenen wunderbar belegten Baguettes und Brötchen mit nach Hause brachte. Die hätten wir eigentlich wegschmeißen müssen. Habe ich einfach nicht gemacht.

 

Aufgehört habe ich dann eines Tages von selbst dort, weil die Schikanen und Drangsalierungen vom Chef immer skurriler, ungerechter und unvorhersehbarer wurden.

 

Ich habe so manchen Laden von innen gesehen, jede Menge verschiedener Cheftypen, Führungsstile, Kollegen, Arbeitseinstellungen, Betriebsklimas und Hierarchien erlebt, beobachtet und viel gelernt. Über Menschen, Gruppen, Firmen, Erfolg und über mich.

 

Ich mag es heute noch sehr, betriebsinterne Abläufe zu sehen. Mitarbeitend, davon hörend oder einfach nur beobachtend.

Am Liebsten natürlich solche, in denen Menschen wie sie sind wertgeschätzt werden und das Klima fein ist. Am Liebsten natürlich solche. Wenn möglich.




Sonntag, 13. Dezember 2020

Bald 60 - 48

Als wir die Füße noch täglich unter den elterlichen Tisch stellten, bzw. in meinem Fall im Schneidersitz auf dem Stuhl an eben diesem Tisch saßen, sollten wir in der Woche vor Weihnachten unsere Zimmer in der Weise gründlich aufräumen, dass wir Platz schaffen für die Geschenke, die in großer Zahl am Heiligabend in unseren Besitz übergehen würden.


Oft wurden wir schon im Oktober gefragt, was wir uns wünschten. Mich hat das schon als Jugendliche überfordert, weil es ja nicht um die aktuellen Wünsche ging, sondern um die, in meinen Augen, ferne Zukunft. Was wusste ich denn, was ich im Dezember gerne haben möchte.

Aber so ging das Ritual halt. Also habe ich mir etwas gewünscht. Meistens fand ich dann auch genau das oder im schlimmsten Fall etwas Ähnliches am Heiligen Abend auf meiner Seite des Sofas.

Meine Schwester und ich wurden, wie es hieß, immer genau gleich und gerecht behandelt. Das führte dazu, dass, wenn die Geschenke für die eine etwas teurer waren als die der anderen, die andere sich noch etwas dazu wünschen sollte. Manchmal hat sich das enorm hochgeschaukelt.

Wir wohnten zu sechst im Haus. Die Großeltern, Eltern und wir Mädchen.
Als der Opa noch lebte habe ich jedes Jahr kurz vor dem 24. die Texte von Weihnachtsliedern auf der Schreibmaschine meines Vaters mithilfe von Kohlepapier in vierfacher Ausfertigung getippt.
Auch so ein Ritual. Die wurden dann am Heiligen Abend verteilt, damit die Erwachsenen zur Flöterei von uns zwei Mädchen singen konnten.
Offenbar wurden die Zettel danach vernichtet. Jedenfalls erinnere ich, dass ich sie einige Jahre hintereinander jeweils neu hergestellt habe.

Nachmittags gingen wir Mädchen und die Großeltern in die Kinderchristmette, in der wir, in der einen oder anderen Weise, auch offiziell engagiert waren. Dann gab es Abendessen und danach dann die Bescherung.

Alle betreten das Wohnzimmer, die Lichterkette am Baum wird eingeschaltet, alle packen die Geschenke aus, die Großmutter guckt sich an, was für sie besorgt wurde und gibt es, wenn es nichts zum Verzehren ist, wieder zurück. Manch einer ist überrascht, andere erfreut.
Auf dem Tisch stehen mindestens drei Pappteller mit Weihnachtsmotiven, die mit einer überlappenden Serviette ausgeschlagen und prall mit selbstgebackenen Plätzchen und gekauften Schokoladen gefüllt sind.

Dann wird gesungen und schon bald ist es Zeit sich für den erneuten Kirchgang zurecht zu machen. Diesmal mit den Eltern und viel festlicher.

Diese abendliche Christmette dauerte oft sehr lange und man musste früh dort sein, um einen Platz zu bekommen, sofern man nicht, wie ich später am Altar als „Vorbeterin“ stand, weil die Kirche zu diesem Termin meist sehr überfüllt war.

Am späten Abend standen wir dann oft noch lange in großen Gruppen vor der Kirche, zeigten uns mit all dem neu Erhaltenen, wünschten uns frohe Weihnachten und erzählten uns gegenseitig was wir noch so alles bekommen haben und was wir nicht zum Zeigen dabeihaben konnten.

Während ich das schreibe sehe ich mich in meiner neuen Kaninchenfelljacke, die ich wirklich haben wollte und über die ich mich sehr gefreut habe, dort auf dem Kirchvorplatz stehen und meine zu erinnern, dass das einer dieser Abende war, die eigentlich nicht kalt genug für eine solch warme Jacke waren.
Und darüber hinaus hatte ich über den Zusammenhang von vielen getöteten Kaninchen und dieser Jacke damals überhaupt keinen blassen Schimmer. Ich Dummerle, ich.

Später habe ich aushilfsmäßig auf Weihnachtsmärkten und dann beruflich, angestellt und selbständig, im Einzelhandel gearbeitet und weiß seitdem, dass Weihnachten ein Geschäft ist. Auch ein Geschäft ist. Hoffentlich ein Geschäft ist. Je nach Perspektive.

Ich hatte viele Jahre mit Menschen zu tun, die Angst hatten, das Falsche zu schenken, solchen, die eigentlich nicht genug Geld hatten, um die Ansprüche der zu Beschenkenden zu erfüllen, anderen, die hohe Beträge auf den Tisch legten und dafür irgendetwas eingepackt haben wollten, das nach was aussah und so weiter.

Ich selbst war in diesen Jahren am Heiligabend meistens fix und fertig. Von den anstrengenden Arbeitstagen und von der Anspannung, die die Frage begleitet, ob der Umsatz für alle Kosten genügend hoch genug würde.
Weihnachten war das eingeplante notwendige möglichst gute Geschäft des Jahres.

Es hat gedauert, bis ich mich um die echte Bedeutung der Weihnachtsgeschichte bemüht habe.
Es hat gedauert, bis mich wirklich interessiert hat, wer dieser Jesus war, dessen Geburt man auf den 24. Dezember datiert hat.
Es hat gedauert bis Liebe und Wahrheit, in zum Beispiel dieser Gestalt, Bedeutung in meinem Leben bekommen hat.

Als es dann soweit war, empfand ich genau das als echtes Geschenk, das ich wirklich haben wollte und vielleicht wirklich frühestens dann bekommen konnte, als ich begonnen hatte, nicht nur mein Zimmer aufzuräumen.



Montag, 30. November 2020

Päuschen bis 14.12.

Nach Abschluss der Indien-Fortsetzungsgeschichte haben wir uns wohl alle ein Päuschen verdient ... :-)))


Wieder einmal herzlichen Dank Euch für die Begleitung in meine Geschichte(n)

Montag, den 14. Dezember geht es weiter ...

Lasst es Euch gut gehen bis dahin!





Sonntag, 29. November 2020

Bald 60 - 47 (𝐹𝑜𝑟𝑡𝑠𝑒𝑡𝑧𝑢𝑛𝑔 𝑢𝑛𝑑 𝐴𝑏𝑠𝑐ℎ𝑙𝑢𝑠𝑠 𝑣𝑜𝑛 𝑢𝑛𝑑 𝑧𝑢 𝑁𝑟. 42 & 43 & 44 & 45 & 46)

Auf der Busfahrt nach Goa freute ich mich auf Sonne und Meer. Und darauf, beides miteinander zu genießen. Ich fand ein billiges Zimmer in einer privaten Unterkunft ganz nah am Strand und verbrachte neben einigen kleinen Ausflügen zu Märkten, auf denen ich schönste Ware zum Weiterverkauf fand, viel Zeit lesend am Strand.

Es war herrlich. Wunderbare Ruhe und doch viel zu schauen.
Dort zum Beispiel sah ich zum ersten Mal Inderinnen mit diesen roten Zähnen vom Betelblätter- und Betelnusskauen. Das erhöht die Speichelproduktion so, dass sie ständig blutrot spucken. Interessant und wie ich heute weiß, üblich, wachhaltend und sehr schädlich.

In Strandnähe war Goa genau das, was man sich vorstellte, wenn man von den Hippies vergangener Tage wusste, die dort tatsächlich immer noch waren und wahrscheinlich heute noch zu finden sind. Eine Art Ibiza im fernen Indien.

Knapp zwei Tage vor meinem Rückflug nach Deutschland bestieg ich wieder einen Bus. Diesmal nach Bombay (heute Mumbai). Und mittlerweile mit einer sehr großen Reisetasche voll mit Kleidung und Schmuck zum Weiterverkauf in Deutschland.

Diese Fahrt dauerte einen vollen Tag und eine daran anschließende Nacht. Unter anderem, weil der Bus zwischendurch repariert werden musste.
Während der Pausen, die der Bus dafür und darüber hinaus an kleinen Imbissstellen machte, „adoptierten“ mich zwei junge indische Männer.
Sie weckten mich zu den Haltepausen, boten mir von ihrem Proviant, warnten mich vor manchem Essen in den Buden am Wegesrand, zeigten mir, wo ich Pinkeln gehen konnte und sorgten dafür, dass ich immer rechtzeitig wieder in den Bus zurückfand. Freundlich und völlig unaufdringlich.

In der Nacht wurde ich Zeugin einer Alkoholvernichtung im großen Stil. Die Einfuhr von Alkohol ins benachbarte Bundesland war offensichtlich nicht erlaubt. An der Grenze hielt der Bus und im Stockdüstern stiegen viele Polizisten ein und durchsuchten das Gepäck aller Reisender.
Sie konfiszierten jede Flasche, die sie finden konnten und zerschlugen sie am Wegesrand. Da war einiges zusammengekommen und es roch bis in den Bus hinein extrem nach dem Alkohol, der jetzt draußen zwischen den Glasscherben in den Boden sickerte.
Ich erinnere die Stimmung als sehr gespenstisch und skurril.

Gegen Morgen fragten mich die beiden Inder, die sich meiner angenommen hatten, wo ich denn in Bombay aussteigen wollte. Darüber hatte ich mir natürlich überhaupt keine Gedanken gemacht, obwohl das bei einer Stadt von damals um die 10 Millionen Einwohnern und entsprechender Größe vielleicht gar nicht so blöd gewesen wäre.

Aber das Leben hatte mir Naivling ja die beiden Herren geschickt, die auf mich aufpassten. Ich erzählte ihnen, dass ich am späten Abend vom internationalen Flughafen aus meinen Rückflug haben würde. Also beschlossen sie, dass ich mit Ihnen in der Nähe des Juhu Beach aussteigen sollte, rieten mir, dort für den Tag noch ein Hotelzimmer zu nehmen, damit ich mich nach der Fahrt und vor dem Flug noch Duschen und frisch machen könnte.
Ich hätte dann ja den ganzen Tag noch am Strand zur Verfügung und könnte abends mit der Rikscha zum Flughafen fahren. Das sei nicht weit.

Also stieg ich, als sie mich riefen, mit ihnen aus. Sie orderten eine Rikscha und verstauten mich mit meinem und sich selbst mit ihrem eigenen enormen Gepäck routiniert in der kleinen Rikscha mit dem Plan, erst den einen von ihnen nach Hause zu bringen und dann mir ein Zimmer zu suchen.

Das Nachhause bringen gestaltete sich so, dass er mich Europäerin ins Wohnzimmer bat, und im Nachbarzimmer alle seine dort noch schlafenden Familienangehörigen weckte, damit sie mich sahen und begrüßen konnten.
Also schüttelte ich etwa 20 Hände, die zu verschlafenen in der Reihe aufgestellten Menschen gehörten, bedankte mich wortreich und verabschiedete mich unter ebenso vielen sehr freundlichen Gesten und Worten dieser netten fremden Menschen.

Zurück in der Rikscha ließ der zweite Inder den Fahrer verschiedene Hotels anfahren und fragte jeweils nach, ob sie ein freies Zimmer für mich hätten. Nichts war frei.

Bevor ich weitererzähle, muss ich sagen, dass ich mir für die Reise verschiedenes vorgenommen hatte, was ich gerne sehen würde. Fast alles hatte geklappt, nur eine Sache war noch offen.
Ich hatte bisher keinen Krishna-Tempel gefunden, den ich hätte besuchen können. Das wusste dieser junge Mann aber natürlich nicht.

Zurück zur Zimmersuche. Einen Versuch wollte mein Begleiter noch machen, sagte dem Fahrer eine Adresse und ich sehe beim nächsten Abbiegen, dass wir durch einen riesengroßen Bogen mit der Aufschrift KRISHNA TEMPLE fahren.

Daran angegliedert war ein Hotel, das ein Zimmer für mich frei hatte. Ich konnte vom Balkon aus in den Tempel gucken.

Der junge Mann brachte mich noch aufs Zimmer, gab mir seine Visitenkarte für den Fall, dass ich am Tag noch Hilfe bräuchte und verschwand!

Ich hatte einen herrlichen Tag im Tempel, am Stadtstrand und kaffeetrinkend auf der Terrasse des Holiday Inn mit Meerblick.

Als ich ausgeruht, geduscht und fröhlich am Flughafen ankam, sehe ich groß und breit an der Anzeigentafel, dass mein Flug ersatzlos gestrichen ist.

Es hieß, dass wir, die nun gestrandeten Passagiere dieser Maschine, ein Hotelzimmer bekommen könnten, da es möglicherweise am nächsten Tag einen Flug dieser Gesellschaft nach Frankfurt gäbe.

Wir könnten aber auch versuchen, kostenlos und ersatzweise von einer anderen Fluggesellschaft mitgenommen zu werden.

Mitten in der riesigen Aufregung von hektischen Reisenden, die sich schimpfend für den Transfer zu den versprochenen Zimmern anstellten, bin ich ganz ruhig von Schalter zu Schalter gegangen und habe freundlich mitgeteilt, dass ich gerne mit nach Frankfurt fliegen würde. Es kamen vier Maschinen infrage.

In dieser Gelassenheit haben sich mir 7 weitere Passagiere angeschlossen. Uns wurde gesagt, wir sollten warten und immer mal wieder nachfragen, ob es freie Plätze gäbe.

Wir haben unser aller Gepäck an einer Stelle so aufgestellt, dass wir von allen Schaltern gesehen werden konnten. Jeweils zwei von uns haben aufgepasst, sodass die anderen sich noch einige Zeit im und vor dem Flughafen bewegen konnten.

Für den Fall, dass nicht alle an diesem Abend einen Platz in einem anderen Flieger bekommen könnten, hatten wir eine Reihenfolge festgelegt, die sich danach richtete, wer am dringendsten am Morgen in Deutschland erwartet würde.

Um die Wunder dieser Reise vollständig zu machen, kam gegen Mitternacht ein hektischer Mitarbeiter von Delta-Airlines und scheuchte uns alle mitsamt dem großen Gepäck durch die Kontrolle direkt ins Flugzeug.
Wir flogen Nonstop. Und ich war 5 Stunden früher in Frankfurt als mit der ausgefallenen Maschine, die planmäßig in Dubai zwischengelandet wäre.

Es war nicht meine letzte Indienreise, aber die bei weitem spektakulärste.



Donnerstag, 26. November 2020

Bald 60 - 46 (Fortsetzung von Nr. 42 & 43 & 44 & 45)

In Puttaparthi angekommen und aus dem Bus gestiegen, erlebte ich die gleiche Wuselei wie bisher in Indien.


Jede Menge Menschen, bettelnde Kinder und Erwachsene, Menschen, die mir an der Kleidung zogen und irgendetwas zu verkaufen hatten und hier noch zusätzlich im ganzen Ort riesige Fotos von jemandem, der, in meinen damaligen Augen, wie Roberto Blanco mit langen krusseligen Haaren in einem orangenen Gewand aussah.

Ich fand es schrecklich. Wie kann man nur einen solchen Personenkult machen? Ich war genervt und völlig im Widerstand.
Weil ich aber schon mal da war, suchte ich mir ein Hotelzimmer, ließ meine Sachen dort und schaute mir diesen Ashram wenigstens mal an.

Man betrat ihn durch große Tore und kam so in ein riesiges Terrain, in dem lauter vergeistigte Menschen herumschlurften. Die Frauen in bunten Saris, auch die Nichtinderinnen.
Das fand ich damals am allerschrecklichsten. Wie kann man sich bloß so anbiedern? Und die Männer in weißen Hosen und weißen Hemden. Einheitlich. Fand ich auch furchtbar.

Irgendwann mitten in meinem verurteilenden Herumlaufen und Gucken habe ich durch systematische Befragungen herausgefunden, was da im Ashram täglich geboten wird und wie das funktioniert, dass ich mir das mal ansehen kann.

Passend zu meiner Stimmung wurde mir erst einmal gesagt, dass ich andere Kleidung bräuchte. Entweder einen Sari oder eine Tunika mit Hose oder mindestens einen großen Schal über die Schultern.
Könnte ich draußen vor den Toren des Ashrams im Ort kaufen.

Dann sollte ich zu einer bestimmten Uhrzeit zum Anleinen auf die Frauenseite kommen. Da waren tatsächlich die Frauen und die Männer getrennt. Die Männer in der riesigen Halle auf der linken und die Frauen auf der rechten Seite.

Bevor man eingelassen wurde, musste man lange in Reihen vor dem Eingang sitzen. Dann wurde ausgelost, in welcher Reihenfolge die Reihen in die Halle durften.
Später erfuhr ich, dass das bestimmte, ob man für drinnen dann eine Chance auf die erste, oder wenigstens vordere Reihen hat.
All das wusste ich natürlich damals nicht und die Bedeutung vorderer Reihen kannte ich auch nicht.

Nichtsdestotrotz habe ich mir eine einfache Tunkia mit Hose gekauft, ich dachte ja, ich brauche das nur einmal, weil ich mir, so völlig im Widerstand, nicht vorstellen konnte, diese seltsame Prozedur nach dem ersten neugierigen Erkunden, jemals wieder mit zu machen, und habe mich in die Wartenden vor dem Fraueneingang eingereiht.

Irgendwann wurden wir hineingelassen in eine pompöse riesengroße Halle, in die sehr viele tausend Menschen passten und tatsächlich auch dort waren. Alle ziemlich still auf dem Boden sitzend. Auf der Frauenseite ein Meer aus Farben. Wunderschön diese Vielfalt. Hauptsächlich saßen dort Inderinnen, aber auch schon damals eine Menge Westlerinnen. Größer, weißer und ein bisschen lauter und unruhiger als die Inderinnen.

Man hatte mir gesagt, dass Sathya Sai Baba, das war der Name des Typen auf den Fotos, die es in allen Größen dort überall gab und in dessen Ashram wir uns befanden, dort gleich einen Darshan geben würde. Was das bedeutet und wie das vonstattengehen würde, wusste ich nicht.

Das einzige, was ich mittlerweile herausgefunden hatte, war, dass man ihn dort als Avatar, als Inkarnation Gottes, verehrte. Hier in unserer Kultur würde man ihn vielleicht Heiligen nennen.

Ich saß also lange Zeit mit den vielen anderen Frauen auf dem Steinboden in der großen Halle, betrachtete mir die aufwändig verzierten Säulen und die vielen Dinge und Menschen, als ich plötzlich anfing, zu weinen. Einfach so. Ich weinte fast schluchzend. Hatte keine Ahnung, warum oder worum, bis ich in der Ferne eine kleine orangene Gestalt entdeckte, die langsam durch die Wege in der Halle ging.

Offenbar hatte ich angefangen zu weinen, als er die Halle betrat und es hielt an bis er nach etwa einer Stunde die Halle wieder verließ. Was er genau in der Zwischenzeit gemacht hat, hatte ich bei diesem ersten Mal gar nicht genau mitbekommen.

Dieses Erlebnis war so spektakulär für mich, dass ich natürlich blieb und diese Prozedur eine Woche lang morgens und nachmittags mitmachte. Jedes Mal, wenn er die Halle betrat weinte ich und wenn er wieder hinausging, stoppten die Tränen von selbst.
Nicht beeinflussbar von mir.

Drum herum fand ebenfalls zweimal am Tag wunderschönes Bhajan-Singen in der gleichen Halle statt. Dass viele tausend Menschen miteinander singen, war, auch wenn ich damals noch nicht mitsingen konnte, ein beeindruckendes Erlebnis.

Während dieser Woche habe ich zusätzlich begonnen, mich mit den Lehren von Sai Baba zu beschäftigen und finde sie auch heute noch, viele Jahre nach seinem physischen Tod und noch mehr Jahre nach meinem letzten Besuch in diesem Ashram, hilfreich.

Als ich meine Reise am Ende der Woche fortsetzte, war ich ein bisschen weicher und kaum noch im Widerstand, weder mit dem Ashram, diesem orangenen Typen mit dem Afrolook, noch mit Indien.

Ich hatte mich akklimatisiert und bestieg diesmal mit Büchern von und über Saibaba, meinen üblichen Bananen und der Flasche Wasser wieder einen Bus. Diesmal in Richtung Goa.

𝐹𝑜𝑟𝑡𝑠𝑒𝑡𝑧𝑢𝑛𝑔 𝑓𝑜𝑙𝑔𝑡 𝑎𝑚 𝑀𝑜𝑛𝑡𝑎𝑔